jeden Tag eine Geschichte
Unheilvolle Stille

Unheilvolle Stille

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Der kalte Wind seufzte durch das Dickicht und ließ die Bäume klagen. Feine Eisblumen bildeten sich auf den Gräsern der Wiese, die ich gerade überquert hatte. Doch was mich auf dem nächtlichen Heimweg wirklich beunruhigte, war nicht die frostige Winterkälte. Es war die unheilvolle Stille. Nicht das geringste Geräusch war zu hören, kein raschelndes Laub, kein entferntes Hundegebell. Nicht einmal ein Eulenschrei durchbrach die Dunkelheit und mündete im Echo der nächtlichen Leere.

Eine gute Viertelstunde vom Stadtrand entfernt, befand sich mein gemütliches kleines Haus in der Nähe eines dichten Waldgebietes. Etwas, das ich mir immer gewünscht hatte, gewährte mir meine geliebte Einsamkeit. Aber heute Nacht war alles anders. Es war, als ob auch die Natur um mich herum den Atem anhielt, erfüllt von einer Art panischen Erwartung.

Ich beschleunigte meine Schritte und gelangte schließlich vor meiner Haustür. Mit zitternden Händen schob ich den Schlüssel ins Schloss und trat ein. Das warme, gelbliche Licht der Hausbeleuchtung war für einen Augenblick eine Wohltat, eine Erinnerung an den Komfort und die Sicherheit, die ich gerade hinter meiner Haustür verlassen hatte.

Ich war gerade dabei, mir eine Tasse heißen Tee zu machen, als ich es bemerkte. Diese unheimliche Stille hatte sogar mein Haus erreicht. Kein Ticken der Uhr, kein Brizzeln der Heizung, kein kaum hörbares Summen des Kühlschranks. Nur das dumpfe Schlagen meines eigenen Herzens, das in meinen Ohren dröhnte und eine pfeifende Note des Entsetzens in meine Stille brachte.

Ich versuchte meiner Angst zu widerstehen, mich an rationale Gedanken zu klammern. Doch es half nichts. Ein Sog der Furcht zog mich in seinen Kern und Panik breitete sich aus. In schlaftrunkener Hast stolperte ich ins Schlafzimmer und versank in meinem Bett, die Decke fest um mich gezogen, auf der Suche nach einem flüchtigen Gefühl von Sicherheit.

Irgendwann war ich für einen kurzen Moment eingenickt. Mein Schlaf wurde jedoch jäh durch ein Geräusch, das beängstigender war, als die zuvor herrschende Stille, unterbrochen. Es war das leise Kratzen von Nägeln an meiner Schlafzimmertür. Es wiederholte sich beharrlich und in einem gleichmäßigen Rhythmus – als ob etwas oder jemand auf die andere Seite wollte. Das beklemmende Gefühl der Furcht steigerte sich zu nacktem Grauen und ich wusste, ich konnte diese Nacht dem Alptraum nicht entkommen.

Ich begriff, dass jenseits der Türe kein gewöhnlicher Eindringling wartete. Sein beständiges Kratzen blieb unverändert, thromboseartig stetig, wie ein hungriger Wolf, der nach dem verängstigten Lamm in seiner Höhle trachtet. Mit jedem Kratzen schien das Unbehagen zuzunehmen, dunkel und bedrohlich, wie der Schatten, den das unerkennbare Wesen auf meine Tür warf.

War es meine sträfliche Arroganz, die meine Ruhe stahl oder die gottverlassene Stille, das Schicksal meiner anhaltenden namenlosen Furcht? Ich wusste es nicht, noch konnte ich dem eisigen Gesicht der Antwort gegenüberstehen. Als der Morgen die Dunkelheit von meiner Türschwelle wischte, war die unheilvolle Stille gebrochen durch das Zwitschern der Vögel. Doch das Kratzen war noch etwas, was ich noch verarbeiten musste.

Könnte die Stille je Frieden bedeuten oder verbirgt sie nur namenlose Schrecken unter ihrem unschuldigen Mantel? Diese Frage hat mich seit jener Nacht nie verlassen und immer, wenn Stille herrscht, höre ich es… das unheilvolle Kratzen an der Tür.

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