Auf dem Fluss mitten aus dem nichts entstand eine Eisfläche. Eine seltene Anomalie, die nur Nathan bemerkte, den Naturbegeisterten des Ortes. Die klare, funkelnde Eisoberfläche war perfekt zum Schlittschuhfahren, und da die Winter klar und kalt waren, bestand kaum die Gefahr eines Einbruchs.
In der ersten Nacht, als Nathan über die Eisfläche lief, hörte er etwas, das ihn stutzig machte. Es war ein Flüstern, leise und doch deutlich, das durch das Eis zu schwingen schien. Er hielt zunächst seine Atmung an und lauschte, konnte jedoch keine klaren Worte ausmachen. Es klang jedoch menschlich, das war sicher. Eine kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter.
Ein bisschen verunsichert, aber fest entschlossen dieses Rätsel zu lösen, kehrte Nathan jeden Abend zum Fluss zurück. Die Flüstern wurden stärker, immer lauter und dringlicher. Manchmal klang es nach Sätzen, manchmal nach leisen Schreien. Das alles verursachte in Nathan pure Gänsehaut, und doch zog es ihn magisch an.
Hunderte von Theorien hatte er in seinem Kopf aufgebaut, versucht es zu verstehen, konnte es aber nicht. Es verstand es nicht. Allein mit seinen Gedanken kam ihm die Idee, modernste Tonaufnahmegeräte zu verwenden, um diese Geräusche einzufangen. Wenn er es beweisen wollte, musste er Beweise haben.
Tage vergingen und schließlich kam das Paket an. In der folgenden Nacht kamen wieder die Geräusche aus dem Eis. Nathan begann aufzunehmen, sein Herz pochte vor Aufregung. Um ihn herum war es still, das sanfte Rascheln der Bäume, das Knistern der Eiskristalle unter seinen Füßen und das Flüstern, das immer lauter wurde.
Es dauerte nicht lange, bis Nathan die Geräusche digitalisierte und die Tonspuren analysierte. Sein Herz sprang ihm beinahe aus der Brust, als er seine Kopfhörer aufsetzte und lauschte. Das Flüstern war jetzt deutlich, deutliche Worte, die aus dem Eis kamen. „Hilfe… friere… kalte Dunkelheit…”
Nathans Atem stockte. War das was er gehört hatte eine Nachricht? Eine Notrufnachricht aus der Kälte? Ist es überhaupt möglich sowas zu hören, eine innere Stimme die um Hilfe bat? Einen Geist vielleicht, das war möglich, aber er wollte es nicht glauben. Es war modernstes Gerät dabei gewesen, wie konnte es also so etwas einfangen? Er konnte nicht schlafen, er konnte nicht einmal mehr denken. Jedes Mal, wenn er schloss seine Augen, hörte er das Flüstern.
Am nächsten Tag ging er zum Rathaus der Stadt und informierte sie über seine Entdeckungen. Die Stadtbeamten hörten zu, aber es war klar, dass sie ihn nicht glaubten. Sie bezeichneten ihn als Spinner, als Irren, der sich Geschichten einbildete.
Eine Woche später, folgend nach Nathans Entdeckung, baute ein Bagger die Eisfläche auf, um die Ursache des Phänomens zu finden. Unter der dick gefrorenen Eisschicht entdeckten sie ein verlassenes Auto. In dem Auto, eingefroren und gut konserviert, wiesen sterbliche Überreste auf den Fahrer. Die Lungen waren gefüllt mit Wasser und Sauerstoff, ein untrügliches Zeichen für einen Ertrunkenen.
Die Stadtgemeinde wurde stumm, Nathan wurde zum Gesprächsthema des Ortes, nicht mehr lächerlich gemacht, sondern als Held betrachtet. Aber er fühlte sich nicht wie ein Held, er hatte keine Ruhe, er konnte die Worte „hilf mir“ nie vergessen, sie tauchten immer wieder in seinen Träumen auf, als ob sie immer noch Hilfe suchten, gefangen in einer kalten, dunklen Dunkelheit.
Die Geschichte fordert uns auf, auf die kleinen und scheinbar unbedeutende Anzeichen zu achten, die die Natur gibt. Manchmal schreien sie um Hilfe, und wir, zu beschäftigt mit uns selbst, hören nicht zu. Nathan hörte hin und bewies, dass der Ruf nach Zuwendung nicht unbedingt von einem lebenden Wesen kommen muss, sondern vielleicht sogar von einem bereits verstorbenen, eingefroren in der Zeit, wartend auf seine Rettung.