jeden Tag eine Geschichte
Trugbild der Nacht

Trugbild der Nacht

1546

Mitten in einer wolkenverhangenen Nacht fand Jackson, ein junger Programmierer, sich alleine auf einer leeren Landstraße wieder. Sein Auto war ausgefallen und der Handyempfang war praktisch nicht vorhanden. Der einzige Lichtschein kam von einem fernen, gespenstischen Glühen eines Hauses, das hoch oben auf einer nahegelegenen Klippe thronte.

Es gab keine andere Wahl, als auf dieses einsame Gebäude zuzugehen und um Hilfe zu bitten. Schon nach wenigen Schritten durch den dichten, kühlen Nebel bekam er eine bedrohliche Vorahnung. Ein unerklärliches Kribbeln im Nacken – eine Ahnung, die tief in unserem kollektiven Bewusstsein verankert ist, ein Gefühl, das warnt, bevor Gefahr droht.

Als er das Haus erreichte, zitterte er vor Kälte und Furcht. Ein klobiger Eisenklopfer war an der Tür befestigt und er klopfte dreimal. Fast augenblicklich öffnete sich die Tür mit einem langgezogenen Knarren. Hinter der Schwelle standen Lichter, die flackerten wie tausend Sterne im Nachthimmel. Kein Mensch war in Sicht. Mit einem tiefen Atemzug betrat er das Haus.

Das Innere war noch absonderlicher. Holografische Bilder hingen in den Räumen und auf den langen Korridoren. Sie wechselten permanent ihre Darstellung und zeigten Jacksons eigenes Gesicht und auch Szenen seines Lebens, die nur er kannte. Schule, Uni, Liebesbeziehungen, sein erster Job – alles da, als wäre es aufgezeichnet worden. Er rannte durch das Haus, versuchte, den Flackern zu entkommen, doch die Bilder verfolgten ihn auf Schritt und Tritt.

Am Ende eines verwinkelten Flurs fand er ein kleines Arbeitszimmer. Ein leuchtend blauer Bildschirm erhellte den Raum. Unzählige komplizierte Formeln und Codes füllten den Monitor. Was ihn jedoch in Angst und Schrecken versetzte, war die Tatsache, dass genau dieser Code gerade auf seinem Laptop in seinem Büro zu Hause offen war – ein Projekt, an dem er schon seit Monaten tüftelte: Ein Holografieprogramm, dass Erinnerungen visualisiert. Ein Spiegelbild seiner Arbeit, doch er erinnerte sich nicht, es je geschrieben zu haben.

Eine kalte Furcht ergriff ihn. Hatte seine Realität ihn eingeholt? War er selber eine Holografie dieser Umgebung, eine Projektion seines eigenen Bewusstseins?

Er sank auf die Knie und starrte auf den Bildschirm. Sein Atem ging schneller, sein Herzschlag dröhnte in seinem Ohr, als er versuchte, das unbegreifliche Grauen zu verarbeiten. All die Erinnerungen waren nicht nur Bilder seiner Vergangenheit – sie waren die Inspiration für seine Arbeit, sein Lebenstraum, sein Meisterstück. Doch jetzt war dieser Traum zum Alptraum geworden. Hatte er, im wachen Zustand, seine eigene Realität projiziert und war nun gefangen in der Welt seiner Erinnerungen?

Plötzlich wurde alles dunkel. Das Flackern hörte auf und Jackson befand sich in völliger Dunkelheit. Die Panik stieg in ihm auf. Hatte er sich alles nur eingebildet? War das Haus nur ein Trugbild der Nacht gewesen? Versuchte er aufzustehen, fühlte er nur noch Leere. Kein Boden. Kein Raum. Nur Dunkelheit.

Doch was, wenn die Dunkelheit nicht das Ende war, sondern eine neue Anfang? Was, wenn die Dunkelheit nicht das Ende der Welt war, sondern der Anfang seiner eigenen Kreation? Und was, wenn er von alle dem nichts wusste – weil er selbst nur die Illusion war, in dem Spiel, das er zu erschaffen glaubte?

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