Emily stapfte durch den dichten Nebel. Die karge Straßenlampe verbreitete ein dünnes, blasses Licht, das die Umrisse ihrer kleinen Stadt kaum enthüllte. Sie war spät dran, das heutige Videochat-Spieleturnier im Verein lief ohne sie an.
In der Ferne tauchte eine konturlose Gestalt aus dem Nebel auf. Emily krampfte, versuchte das Gesicht zu erkennen. Aber das war das Merkwürdige. Die Gestalt hatte kein Gesicht. Wo Augen, Nase und Mund sein sollten, war nur leeres Grau. Ihre Gedanken rasten. Sie straffte sich, konzentrierte sich wieder auf den Weg nach Hause, versuchte, diese beunruhigende Gestalt zu ignorieren.
Verstohlen stahl sie sich einen Blick zurück über die Schulter. Die gesichtslose Gestalt war ihr genauer gefolgt, als sie es erwartet hatte, sie war näher. Ein schriller Angstschrei drohte sich aus ihrer Kehle zu lösen, doch sie schluckte ihn herunter und wimmerte nur leise. Sie musste schneller werden, mutiger.
Jetzt, getrieben von Adrenalin, rannte sie. Ihre Füße flogen über den Beton, und ihr Herz pochte wild gegen ihre Brust. Ein Blick zurück, und sie spürte, wie ihr Atem stockte. Die gesichtslose Gestalt war gerade noch dort gewesen, aber jetzt war sie verschwunden. Sie rannte weiter, ohne innezuhalten, bis sie die vertraute Haustür erreichte und sich mit zitternden Fingern hineinstürzte.
Im Haus angekommen, kehrte sie sofort zum Computer zurück. Sie brauchte Ablenkung, die Routine ihrer alltäglichen Online-Spiele. Der pulsierende Adrenalinschub ließ nach und machte Platz für eine tiefliegende Angst, die sie vor jedem Blick aus dem Fenster zurückschrecken ließ. Doch ihre Freunde waren dort; sie konnten ihr helfen, das Erlebte zu vergessen.
Emily schloss sich dem Spiel an, und für einen kurzen Moment fühlte sie Erleichterung. Doch diese währte nicht lange. Auf dem Bildschirm zeichnete sich eine allzu bekannte Silhouette ab. Ihre Finger erstarrten auf der Tastatur, und ihr Atem wurde flach und hektisch. Die gesichtslose Gestalt aus dem Nebel stand jetzt in ihrem virtuellen Raum, spazierte gemächlich durch das digitale Territorium ihrer Mannschaft.
Mit zitternden Fingern klickte sie auf das Profil. Kein Name, kein Spielpfad – nur die graue Kontur ohne Gesicht. Die Gruselgestalt wandte sich ihr digital zu und stieg aus dem Bildschirm direkt auf ihren Schreibtisch, ein gesichtsloses Hologramm in einer allzu realen Welt.
Sie schrie und stolperte rückwärts vom Stuhl, die Augen auf das Ding gerichtet, das einmal in ihrem Spiel gewesen war und nun vor ihr in ihrem Zimmer stand. Sie wollte schreien, wollte wegrennen, aber ihre Beine gaben ihr nicht den Dienst. Das letzte, was sie sah, bevor die Dunkelheit sie einholte, war der leere Raum, wo das Gesicht hätte sein sollen.
Emily wachte in ihrem Bett auf. Es gab keine Spur von der nächtlichen Begegnung. Kein Hologramm, keine Gesichtslose Gestalt. War es wirklich nur ein Traum gewesen? Sie überprüfte ihren Computer nervös, doch der Bildschirm zeigte nur das normale Spiele-Interface. Aber da, in den Online-Statistiken, gab es einen neuen, namenlosen Account – faceless123 – der im letzten Turnier gespielt hatte.
Emily versuchte, das Bild zu schütteln, das sie nicht losließ, und trottete zur Schule. Es war nur ein Traum, wiederholte sie sich, doch ihre Augen suchten immer wieder den grauen Nebel, der die Stadt umhüllte, auf der Suche nach einer gesichtslosen Gestalt und einer Angst, die sie nicht ablegen konnte.