jeden Tag eine Geschichte
Fluch der Dunkelheit

Fluch der Dunkelheit

Jessie war die letzte ihrer Freunde, die noch wach war. Sie zitterte in ihrem schäbigen Kabinebett, eingehüllt in eine dünne, zerrissene Decke und starrte in die Dunkelheit des verlassenen Camps. Die Schatten, die vom Dach hingen, bewegten sich sanft im schwachen Mondlicht, und in der Finsternis lauerten die dumpfen Flüstern von tausend unsichtbaren Schrecken.

Ein Kichern unterbrach die Stille, und Jessie’s Herz zog sich zusammen. Sie konnte es nicht identifizieren. Es war mehr eine Ahnung als ein Geräusch, ein lauerndes Wispern, das aus dem Nichts kam und sich langsam in ihrem Gehirn festsetzte. Jessie zog das Laken höher und versuchte, die kalte Angst aus ihrem Geist zu verbannen.

Die Uhr tickte verworren, und auf einmal schwang die Tür zum Schlafzimmer auf. Plötzlich wurde das Zimmer vom gelben Licht der Ganglampe erfüllt. Vor der Tür stand ihre Freundin, Hannah, angeleuchtet von der unscheinbaren Lichtquelle hinter ihr, nur ihre Silhouette war zu sehen.

„Du sollst schlafen, Jess“, flüsterte Hannah, ihre Stimme war seltsam distanziert.

„Ich kann nicht…“, gab Jessie zu.

Etwas an Hannah stimmte nicht. Sie stand still, als ob sie eingefroren wäre, ihr Gesicht war verborgen und ihre Stimme war flach und leer.

„Hannah…?“, fragte sie vorsichtig, aber ihre Freundin antwortete nicht.

Und dann wurde das Licht sehr plötzlich dunkel. Hannah war verschwunden, verschluckt von der Dunkelheit, die sich wieder in das Zimmer schlich. Es war kein flackerndes Verschwinden des Lichts, sondern ein abruptes, beängstigendes Erlöschen, als hätte jemand den Lichtschalter umgelegt.

Die Dunkelheit verschlang alles, und Jessie erstarrte. Das Kichern kam wieder, lauter diesmal, als ob es direkt neben ihrem Ohr war. Aber es war kein menschliches Kichern mehr, es hatte kein menschliches Muster, keine menschliche Melodie. Es war ein grausames, knisterndes Kichern, das sich in der Dunkelheit verbreitete und ihr eine Gänsehaut über den Körper jagte.

Jessie fühlte sich plötzlich kalt und allein. Sie konnte den kalten Atem der Dunkelheit förmlich auf ihrer Haut spüren, wie unsichtbare Finger, die sie streichelten, sie berührten. Sie wollte aufstehen, rennen, schreien, aber sie konnte nicht, sie fühlte sich gelähmt.

So saß sie da, starrte in die Dunkelheit und wartete auf die Morgendämmerung. Aber die Sonne kam nie. Die Dunkelheit war ihr Gefängnis geworden, ein ewiger Fluch, der sie an diesen Ort gebunden hatte.

Und irgendwo in der Dunkelheit kicherte etwas.

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