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Pfad ins Verderben

Pfad ins Verderben

3

Es war stockdunkel. Die einzige Lichtquelle, die schwache Flamme ihrer Wachsfackel, schien durch den nebligen Wald und kämpfte gegen den Finsternis an. Jedes Baum wirkte gleichzeitig vertraut und doch fremd. Sie waren wie gigantische unförmige Kreaturen, die sie verfolgen und anstarren. Das betäubende Schweigen half nicht weiter und doch hob ein Rinnsal von Blättern unter den Füßen die Stille hervor.

Es war ein schmaler Pfad, ein Weg, der nur von den Mutigsten betreten wurde. Ein Fluch lag auf ihm. Menschen verschwanden, kamen nie zurück und es gab nie eine Spur von ihnen. Sie war aber keine gewöhnliche Reisende. Angst kannte sie kaum. Hin und wieder konnte sie Schreie hören. Ein Echospiel der Bäume und des Windes oder doch tatsächliche Hilferufe verzweifelter Geister?

Sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken abzuwerfen und setzte ihren Weg fort. Sie sah sich um. Alte Runen guckten von der unscheinbaren Wegseite in den Himmel und bettelten, anerkannt und verstanden zu werden. Sie schlich an ihnen vorbei, berührte sie nicht, lächelte sie nur an.

Nach einiger Zeit fing der Wald an zu lichten. Sie sah die Sterne. Die kalten, distanzierten Beobachter, welche ein ewiges Schweigen bewahrten. Unter ihnen war eine Hütte. Alt und vernachlässigt. Es schien, als würde sie jeden Moment unter dem Gewicht ihrer eigenen Vergangenheit zusammenbrechen. Sie hustete, als sie die Fackel ausblies und die Türe öffnete.

Drinnen waren alte, vergilbte Bücher überäht mit Staub. Sie nahm vorsichtig eines in die Hand. Die Seiten krakelten unter ihren Fingerspitzen. Ein seltsamer, metallischer Geruch hing in der Luft. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.

In der Mitte des Raumes war ein alter, eingedrückter Sessel, daneben ein kleiner Tisch und darauf stand eine verstaubte flache Schale mit schlammigem Wasser. Darin war ein Anblick, der die Realität auf den Kopf stellte. Anstelle ihres Spiegelbilds sah sie gespenstische Bilder: Eine Frau in Tränen, ein Kind, das verängstigt nach seiner Mutter rief, Männer mit blutigen Wunden. Ihr Herz klopfte hart gegen ihre Brust.

Da fiel ihr Blick auf etwas, was ihr zuvor entgangen war – ein Bild an der Wand. Es war sie selbst. Sie stand vor einem Spiegel und erschrak vor ihrem eigenen Spiegelbild. Anstatt eines gesunden, jungen Mädchens, sah sie einen alten, verwelkten Körper, die Augen trüb und erstarrt in ewigem Grauen.

Anstelle des Gefühls der Verwirrung wuchs in ihr ein grässliches Verständnis, ein Bewusstsein, dass sie nie wieder schütteln konnte. Sie hatte den Pfad ins Verderben betreten, das Fenster in die Zukunft gesehen und sie wusste, dass sie dem Schicksal nicht entkommen konnte.

Sie sah sich im Spiegel an, und Tränen begannen aus ihren Augen zu fließen. Es gab keinen Weg zurück.

Der Pfad ins Verderben verlangte ihren Tribut und sie hatte ihren Willen gegeben. Die Tür der Hütte fiel zu, die Fackel erlosch langsam. Nur der mondlichte Pfad draußen war Zeuge ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft, die nun eins waren.

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