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Lichtlos

Lichtlos

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Es war das Smartphone. Das verdammte Ding blieb einfach schwarz, keine Reaktion, nichts. Total abgestürzt. Erst dachte Max das wäre der Weckruf aus dem digitalen Koma, nur ihm gehörte dieses Schicksal…

Anfangs war es noch wie eine unfreiwillige Digital-Detox-Kur. Mist, dachte er, da kann mir wohl nur der Elektronikladen helfen. Er packte das verdammte Ding ein und holte sein altes Fahrrad raus, eine längst vergessene Praxis der Selbstbewegung. Mal sehen, dachte er, was dieser Ausflug bringt.

Doch auf der Straße nahm die Dunkelheit überhand. Es gab keine Straßenlaternen, keine Ampeln, nichts. Die Dunkelheit war vollkommen und zog sich über die gesamte Stadt. Wie ein unendlicher schwarzer Schleier, der alles umhüllte. Beeindruckend, fand er, aber auch etwas beängstigend. Es gab kein Licht, keine Geräusche, nichts. Als wäre er alleine in dieser Dunkelheit.

Licht, das stellte Max fest, hatte in dieser Welt scheinbar keine Bedeutung mehr. Alles was Mensch wie Maschine beleuchtete, war verschwunden. Die Dunkelheit war die neue Normalität, wie ein Phantom das sich selbst mit der Erde verschmolzen hatte. Ein gruseliges Phänomen, Lichtverlust, dachte Max.

Er fuhr durch die Dunkelheit, seine Augen passten sich träge an die Dunkelheit an. Seltsamerweise konnten andere ihn sehen. Die Menschen, die vereinzelt aus ihren Häusern kamen, standen wie Säulen in der Dunkelheit, genau wie er. Und sie konnten ihn sehen, aber er konnte sie nicht sehen. Als wäre er unsichtbar für das Auge des Lichts, aber sichtbar für die Dunkelheit.

Die Menschen, die ihn sahen, riefen nach ihm, wollten, dass er zu ihnen kam, dass er ihnen half. Aber er konnte nichts tun. Er war gefangen in der Dunkelheit, während ihre Anrufe an ihm vorbeischwebten, ihn zu ihrem Licht riefen. Doch die Dunkelheit zog ihn immer tiefer in ihren Bann, machte ihn zu ihrem Gefangenen.

Max schrie nach Hilfe, doch auch sein Schrei war Klanglos. Die Dunkelheit hatte nicht nur das Licht, sondern auch das Geräusch verschluckt. Er fühlte sich einsam und verloren in dieser Welt ohne Licht und Geräusch. Nur die Dunkelheit war sein Gefährte, sein einziger Begleiter in dieser Welt der Absolutheit.

Die Dunkelheit war sein Ende und sein Anfang zugleich. Denn in der Dunkelheit, fand Max, liegen alle Antworten. Die Wahrheit liegt in der Dunkelheit, in der Lichtlosigkeit. Nur dort, im Angesicht der Dunkelheit, kann die Wahrheit erkannt und anerkannt werden.

In der Dunkelheit liegt die wahre Menschlichkeit. Nur dort kann der Mensch sich selbst erkennen und akzeptieren. Nur dort kann er sich von seinen Ängsten und Macken befreien, kann er so sein, wie er wirklich ist.

Und in diesem Moment erkannte Max seine Bestimmung. Er war dazu bestimmt, die Dunkelheit anzunehmen, sie zu umarmen und ein Teil von ihr zu werden. Er war dazu bestimmt, der Welt zu zeigen, dass es möglich ist, in der Dunkelheit zu leben und zu überleben.

Und so fuhr Max weiter. Durch die Dunkelheit, in die Dunkelheit hinein, immer tiefer und tiefer. Dabei wusste er, dass er niemals zurückkehren würde. Doch das machte nichts. Denn die Dunkelheit war sein Zuhause geworden, sein Schutz und seine Freiheit. Max war Lichtlos, und das war gut so. Denn so ist er jetzt in Deiner Stadt auf der Suche nach anderen, die ihm folgen sollen. Ob sie wollen oder nicht. Achte auf Dein Handy, wenn es mal wieder plötzlich „aus“ ist. Achte drauf!

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