jeden Tag eine Geschichte
Kalt wie der Tod

Kalt wie der Tod

Sie betrat die Wohnung wie jeden Abend nach ihrer Spätschicht. Es war ein kleiner, aber gemütlicher Ort in einer Seitenstraße, weit weg vom Trubel der Großstadt. Abgeschlossen vom Chaos der Außenwelt, war dieser Raum wie eine Insel der Ruhe. Aber heute war es anders. Eine seltsame Kälte lag in der Luft. Eine Kälte, die ihr bis ins Mark drang und die mit einem zündenden Heizkörper nicht zu vertreiben war.

Die Stille der Wohnung brach abrupt, als sie ein Geräusch hörte. Es war ein leises Flüstern, das aus dem Badezimmer zu kommen schien. Sie wusste, dass sie alleine sein sollte, alleine in ihrer Wohnung, alleine in diesem Gebäude. Doch das Geräusch, dieses eisige Flüstern, strafte die Logik Lügen.

Mit einem eisernen Ausdruck der Entschlossenheit trat sie ins Badezimmer. Der kalte Fliesenboden fühlte sich an, als würde sie auf Eisgestein treten. Und da war es wieder, dieses Flüstern. Es war, als ob sie ihren Namen hörte, kaum wahrnehmbar, verzerrt und von weit entfernt.

Im Spiegel könnte sie nur ihr eigenes Spiegelbild sehen – müde, blass und aufgewühlt. Doch mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde ihr klar, dass sie nicht allein war. Die Kälte begann zurückzutreten, um einem eisigen Hauch zu weichen, der ihr die Haare zu Berge stehen ließ. Und dann sah sie es. Im Spiegel. Hinter ihr stand eine Gestalt, schemenhaft und dunkel, beinahe unfassbar.

Nun erklang das Flüstern deutlicher. Es war ihre Stimme! Ihre eigene Stimme flüsterte ihr ins Ohr, ängstlich und zitternd, als ob sie sich in einer eisigen Winternacht verirrt hätte. Sie sprach von Angst, sie sprach von Kälte, sie sprach vom Tod. Sie erzählte von Einfrieren, allein in der Dunkelheit, entrissen von der Welt, vom Leben, von der Existenz.

Die schreckliche Kälte, die sie fühlte, war nicht von dieser Welt. Es war ein Echo, eine Erinnerung an einen Tod, der vielleicht noch kommen sollte. Es war die Vorahnung, die Vorankündigung einer traurigen Einsamkeit, die sie bald erfahren würde. Die Gestalt im Spiegel war nicht ein Geist oder Dämon, es war sie selbst, eingefroren, stirbend, einsam.

Sie drückte gegen den Spiegel, versuchte das Bild zu ändern, die düstere Zukunft, die sie zu erwarten hatte, zu meiden. Aber die eisige Kälte war gnadenlos. Jede Bewegung wurde mit einem Ansturm von Kälte beantwortet. Sie konnte nur zusehen, wie sich die Gestalt im Spiegel weiter verformte, immer mehr zu dem wurde, was sie einmal sein würde – kalt und einsam wie der Tod.

Die Kälte ließ nach und mit ihr die Gestalt im Spiegel. Was blieb, war die Erinnerung, die Vorahnung. Was blieb, war die furchterregende Kälte, die noch immer in der Luft lag, ein Vermächtnis einer möglichen Zukunft, die sie erwartete. Die Wohnung fühlte sich nicht mehr wie ein Hafen an, sondern wie eine Vorhölle zur Einsamkeit, ein Ort, der von der Kälte des Todes berührt war.

Es war ein Schicksal, das sie jetzt kannte, und dessen Bedrohung sich über ihrem Leben ausbreitete, wie ein fallender Schneevorhang. Keine Wärme, kein Kaminfeuer, keine Decke konnte dieses eisige Schicksal vertreiben. Die Kälte hatte sie berührt, und sie würde, egal, wo sie auch sein mochte, immer in ihrem Bann bleiben; kalt wie der Tod.

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