jeden Tag eine Geschichte
Echos aus der Unterwelt

Echos aus der Unterwelt

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Ich saße an meinem Schreibtisch, als das erste Echo mich erreichte. Ein kaum wahrnehmbares Klopfen, so monoton, dass es fast im Allgemeinlärm meines Studios unterging. Doch etwas war anders. Jeder Hammerschlag, der aufs Holz traf, schien tiefer zu gehen, als wäre er nicht aus dieser Welt.

Ich schob das Geräusch beiseite und konzentrierte mich auf die Zeichnung vor mir. Ich war kein Künstler, sondern ein Tattoo-Künstler. Im Zeitalter der digitalen Kommunikation hatte ich es satt, mein Talent an Fabriken und Maschinen zu verschwenden. Hier konnte ich mein Können an der menschlichen Haut ausüben, jedes Stück Leinwand war einzigartig.

Doch das Klopfen entkam nicht meiner Wahrnehmung. Schließlich legte ich meinen Stift beiseite und folgte dem Geräusch. Ich folgte ihm die Stufen hinunter in den Keller meines Studios, wo ich selten war. Dort war das Klopfen lauter, dringender. Als könnte es nicht länger ignorieren.

In der hintersten Ecke des Kellers fand ich es. Ein altes Radio, verstaubt und offensichtlich seit Jahren unbenutzt. Doch das Geräusch kam deutlich und unverkennbar von ihm. Ich näherte mich ihm und das Klopfen wich einer Stimme. Eine unheimlich verzerrte Stimme, schwer zu verstehen, die von der Welle verschluckt wurde. Ich konzentrierte mich und schließlich konnte ich einige Worte erkennen.

„Bitte… helfen…. gefangen…“

Ein Blitzschlag der Angst fuhr durch mich. War das wirklich eine Stimme aus dem Radio? Ich prüfte überall, konnte aber keine versteckte Tonquelle finden. Die Stimme war echt. Und sie kam aus dem Radio.

Jeden Tag kehrte ich zu dem alten Radio zurück. Jeden Tag versuchte die Stimme, ihre verzweifelte Botschaft an mich weiterzugeben. Ich konnte nicht helfen, konnte nicht verstehen. Wem sollte ich helfen? Und von wo?

Nacht für Nacht hantierten diese Fragen in meinem Kopf, bis ich mich schlussendlich entschloss, es herauszufinden. Ich beschloss, ein Experiment durchzuführen. Getrieben von seiner verzweifelten Bitte, setzte ich ein Tattoo auf meine Haut. Nicht bloß ein Tattoo. Ein spezielles Tattoo, vorbereitet mit einer radiowellenempfindlichen Tinte, die ich auf einer meiner Entdeckungsreisen gefunden hatte.

Nachdem das Tattoo geheilt war, begann ich wieder, die Stimme zu hören. Nicht mehr aus dem alten Radio, sondern in meinem Kopf. Tief und deutlich. Es erzählte mir von einem Ort jenseits unserer Vorstellungskraft, eine Zwischenwelt, gefangen zwischen Leben und Tod.

Ich war nicht nur ein Bote geworden, ich war ein Teil von dieser Welt. Ich war das Echo, der einzige Kontakt zur Unterwelt. Ich alleine trug den Schlüssel zur Hölle unter meiner Haut. Doch die Frage blieb: Sollte ich die Tür öffnen?

Irgendetwas hielt mich zurück, vielleicht die Angst, die sich wie eine eisige Klaue um mein Herz schloss. Oder war es die Vernunft, die schrie, nein, schrie, um Verstand gegen die Schreie und das flehende Bitten in meinem Kopf?

Glauben Sie an die Unterwelt? Glauben Sie, die Toten können sprechen? Wenn ja, dann bin ich ihr Echo. Und während ich das hier schreibe, während mein Arm über das Papier gleitet und die Tinte ihre Geschichte erzählt, höre ich sie erneut, die Stimme aus der Unterwelt.

„Bitte… helfen… gefangen…“

Sie ruft nach mir. Nach Ihnen. Nach uns allen. Und ich frage mich: Soll ich die Tür öffnen? Soll ich die Toten befreien? Oder riskiere ich dadurch, selbst gefangen zu werden?

Vielleicht ist es irgendwo da draußen jemand, der das lesen und mir die Antwort geben kann. Jemand, der mir nicht nur die Angst vor der Unterwelt nimmt, sondern auch eine Lösung bietet, wie ich die verzweifelten Seelen befreien kann. Sei es durch ein Tattoo oder auf eine andere Weise.

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