Sich durch die kalten Straßen der Stadt kämpfend, fühlte Marie eine Art Präsenz. Es war, als ob sie beobachtet würde. Der windige Herbstabend, die leeren Straßen und das Flackern der Straßenlaternen verstärkten nur ihr Gefühl der Einsamkeit und Angst.
Sie wollte ihr Gefühl abstreifen, sagte sich, dass es nur ihre Fantasie war. Als sie die treppenartigen Gassen erreichte, kamen die flüsternden Worte zurück, die sie zu ignorieren suchte. „Marie… Marie“.
Die Unsicherheit wuchs und das Flüstern wurde lauter. Der Gedanke, dass es nur der Wind sein könnte, beruhigte Marie nicht. Gegen ihren Verstand fühlte sie sich in Richtung des verlassenen Herrenhauses hingezogen, das auf der Spitze des Hügels stand.
Das Gebäude hatte eine traurige und gruselige Vergangenheit. Die Dorfbewohner mieden es. Natürlich hatte sie die Geschichten gehört, schaurige Erzählungen von verschwundenen Personen und übernatürlichen Aktivitäten. Sie schob diese Gedanken weg, konzentrierte sich darauf, der Stimme zu folgen.
Näher kommend, erstarrte sie. Das Herrenhaus, das sonst im Schutz der Dunkelheit lag, erstrahlte in einem schwachen blauen Licht. Das Flüstern in ihrem Kopf wurde klarer, lauter. Es war eine vertraute Stimme; die ihrer verstorbenen Großmutter.
Marie zögerte, aber der unwiderstehliche Drang, die Stimme zu folgen, zog sie weiter. Sie betrat das Haus mit zittrigen Händen. Das Flüstern führte sie zu einer alten, verzierten Wandschrank. Sie öffnete es und fand ein Schmuckkästchen, in dem ihr ein Medaillon ins Auge fiel. Ihre Großmutter hatte genau das gleiche.
Sie hob es auf und starrte auf das Bild ihrer Großmutter im Inneren. Das Flüstern in ihrem Kopf wurde leiser und ihrem Beileid nachlassend, hörte sie eine letzte Nachricht: „Du bist nicht allein, Marie. Es gibt immer einen Weg.“
Erleichterung und Furcht durchbohrten sie gleichzeitig. Sie hatte gerade mit einem Geist gesprochen! Aber der Geist hatte sich als ihre Großmutter gezeigt, die sich sorgte und sie liebte, auch nach ihrem Tod.
Marie verließ das Haus in Windeseile, das Medaillon fest in der Hand. Sie fühlte sich nicht mehr allein, tatsächlich fühlte sie sich wacher als je zuvor. Ihre Großmutter hatte ihr etwas Wichtiges gegeben: die Erkenntnis, dass sie geliebt und nicht allein war. Und dass sich die Geister sorgen können, auf ihre Weise.
Zurück auf der Straße, konnte sie das Flüstern nicht mehr hören, aber sie wusste, wenn sie es wieder hörte, würde es für sie kein Grund zur Angst, sondern zur Hoffnung sein. Und vielleicht, so dachte sie, waren die anderen, verlorenen Seelen im alten Herrenhaus auch nur ängstliche Wesen, die nach einer Verbindung suchten, einer Art Seelengeflüster.