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Schreiende Stille

Schreiende Stille

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Die Stadt hatte sich verändert. Jedes Gebäude schien vor Leben zu strotzen und doch war sie ausgebrannt. Kein Mensch wagte es, einen Fuß auf die Straßen zu setzen. Rauch und Asche hingen in der Luft, die Vögel hatten aufgehört zu singen. Es war die schreiende Stille.

Die Menschen versteckten sich in ihren Häusern, nisteten sich ein und machten sich auf das Schlimmste gefasst. Jeden Tag lauschten sie ängstlich in die Stille, hoffend und betend, dass sich nichts bewegte. Doch in die überwältigende Stille hinein hörten sie das unbeschreibliche – einen Schrei.

Es war ein markerschütternder, herzzerreißender Schrei. Er hallte durch die Straßen, widerhallte in den leeren Räumen der Häuser, zerriss die Stille in tausend Stücke. Es war der pure Ausdruck von Verzweiflung und Angst. Dann, wieder Stille.

Die Menschen in ihren Verstecken hielten den Atem an, ihre Herzen rasten. Sie hofften, dass es nur Einbildung war, ein blinder Schreck, der durch ihre überanstrengten Nerven getäuscht wurde. Doch der Schrei kam wieder. Und wieder.

Es war unregelmäßig, fast verrückt. Als ob jemand oder etwas versuchte, ein Muster zu erzeugen, das die Menschen nicht verstehen konnten. Der Schrei eines Monsters, einer Kreatur, die die Dunkelheit beherrschte oder vielleicht der Schrei eines Menschen, der all seine Hoffnung und seinen Verstand verloren hatte. Niemand konnte es sagen.

Die Tage wurden zu Wochen, die Wochen wurden zu Monaten. Der Schrei ebbte nie ab. Er wurde zu einem stetigen Hintergrundgeräusch, das die schreiende Stille durchbohrte. Einige versuchten, sich dagegen zu wehren, schrieen zurück in die Dunkelheit. Sie erhielten keine Antwort. Andere versuchten, sich anzupassen, die Schreie zu ignorieren oder sie in ihren Alltag zu integrieren. Auch sie scheiterten.

Die Leute begannen, ihre Mitmenschen abzuschreiben. Sie sprachen nicht mehr miteinander, tauschten keine Informationen aus. Jeder lebte in seiner eigenen Hölle, eingehüllt in die schreiende Stille und den pulsierenden Schrei.

Eines Tages, mitten in der Nacht, hörte der Schrei auf. Die Leute warteten – Minuten, Stunden. Sie wagten kaum zu hoffen. Doch der Schrei kam nicht zurück. Die Schreie hatten einfach aufgehört. Die Welt war still. Nicht die schreiende Stille von zuvor, sondern eine tiefere, bedrückende Stille. Menschen wagten sich wieder hinaus, sahen sich mit leeren, leblosen Gesichtern an. Aber sie sprachen nicht, ihre Stimmen waren verloren gegangen wie der Schrei in der Nacht.

Die Frage bleibt – was hat diesen Schrei hervorgebracht? War es die unausweichliche Antwort auf unsere verstummten Stimmen oder die dunkle Bedrohung, die immer noch in den Schatten lauert, still und ruhig wartend auf den Moment, um wieder die schreiende Stille zu durchbrechen?

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