Sie wurden am Himmel sichtbar, als der Vollmond gerade in seinen Zenit stieg – schemenhafte, dunkle Gestalten, die sich leicht bewegten. Eine kalte Brise wehte durch die engen Gassen der Stadt. Die Bewohner wussten nicht, was sie tun sollten. Der Himmel war mit diesen schwebenden Schatten übersät, die sich bewegten und sich manchmal zu verschmelzen schienen.
Jeden Morgen waren sie verschwunden. Aber jeden Abend, wenn der Mond hoch am Himmel stand, erschienen sie wieder. Gemurmel und Angst griffen um sich. Besorgte Eltern brachten ihre Kinder früh ins Bett und baten sie, nicht aus dem Fenster zu schauen.
Die Stadtverwaltung versuchte, eine Erklärung zu finden. Wissenschaftler wurden beauftragt, Astronomen und Metereologen konsultiert. Es gab Theorien über ungewöhnliche Wetterphänomene, seltsame Reflexionen oder atmosphärische Störungen. Aber nichts konnte den Schatten am Abendhimmel erklären.
Die Schatten änderten ihre Form, sie wurden größer und schienen näher zu kommen. Es wirkte, als würden sie nach etwas greifen, sich doch zurückziehen, jedes Mal ein kleines Stück weiter. Die Menschen flüsterten über das Unausweichliche, das sie erwartete und dem sie nicht entkommen konnten.
Eines Abends passierte es. Ein gehetzter Schrei gellte durch die Nacht. Im Zentrum der Stadt war ein großer Schatten zu Boden gefallen, körperlos wie die anderen, aber diesmal real und greifbar. Damen fielen in Ohnmacht, Männer schrien vor Entsetzen und Kinder klammerten sich an ihre Eltern. Der Schatten wirkte lebendig, er pulsierte und bewegte sich, als würde er atmen.
Die Stadt wurde still. Niemand wagte es, dem Schatten nahezukommen. Sie schauten aus sicherer Entfernung zu und hielten den Atem an. Der Schatten löste sich vom Boden und formte sich zu einer hochgewachsenen Gestalt. Ein tiefer Schrei durchbrach die erdrückende Stille und alle Lichter der Stadt erloschen auf einmal.
Als die Lichter wieder angingen, war der Schatten verschwunden. Auf dem gepflasterten Marktplatz war nun eine tiefe, schwarze Markierung zu sehen. Es sah aus, als wäre der Stein verbrannt, und kein Wasser, keine Bürste konnte sie entfernen. Sie blieb als immerwährende Erinnerung an die Schatten, die jede Nacht die Stadt heimsuchten – und vielleicht immer noch heimsuchen.
Nachts, wenn der Vollmond scheint, verschanzen sich die Bewohner in ihren Häusern und hoffen, dass die Schatten weiterhin nur am Himmel bleiben. Die dunkle Markierung liegt als stummer Zeuge im Herzen der Stadt und erinnert jederzeit an die Existenz des Unbegreiflichen und Unerklärlichen. Doch was die Schatten wollten oder warum sie gekommen waren, bleibt ein Rätsel, das nie gelöst wurde.
Und der leise Hauch von Angst, der über der Stadt liegt, wenn das Mondlicht den Boden berührt, bleibt bestehen. Denn niemand weiß, wann und ob die Schatten wiederkehren werden…