Als Zara am Montagmorgen ihre neue Stelle in der Kältekammer des städtischen Leichenschauhauses antrat, fühlte sie sofort eine merkwürdige Unruhe. Es war ein Empfinden, das über die normale Nervosität eines neuen Arbeitsplatzes hinausging. Obwohl sie von Natur aus eine rationale Person war, konnte sie das bohrende Gefühl nicht abschütteln, dass etwas völlig falsch war.
Anfangs konnte sie dieses seltsame Gefühl nichts zuordnen. Erst als sie an den Edelstahl-Tischen und den gekühlten Schubladen vorbeikam, in denen die Körper von Verstorbenen ruhten, begriff sie es: Es war die Kälte. Nicht die normale Kälte, die man von Eis oder Schnee kennt, sondern eine Kälte, die bis auf die Knochen kroch. Eine Kälte, die berührte.
In den nächsten Tagen ging Zaras Befinden weiter zurück. Sie fühlte sich ständig beobachtet, verspürte immer wieder kalte Atemzüge in ihrem Nacken und hörte unerklärliche Geräusche; Flüstern, das von den Wänden zu kommen schien. Manchmal sah sie aus dem Augenwinkel Gestalten, die verschwanden, sobald sie sich umdrehte.
Eines Nachts, während einer Spätschicht, saß sie vor den Monitoren der Überwachungskameras. Einen Moment lang wurden die Bilder schwarz, und als sie wieder auftauchten, sah sie eine schemenhafte Figur, die am Ende des Korridors stand. Ihr Herz raste, als sie aufstand und die kalte Stahltür zur Kältekammer öffnete.
Die Gestalt war verschwunden, aber die Kälte konnte sie immer noch spüren. Das Flüstern war jetzt lauter, es drängte in ihre Gedanken. Mit zitternden Händen öffnete sie die Schublade, aus der das Flüstern zu kommen schien. Sie sah den verkühlten Körper eines Mannes. Bereits seit einigen Tagen lag er hier.
Völlig panisch lief sie los, rannte aus dem kalten Raum und die Flure des Leichenschauhauses entlang. Doch die Kälte, sie war immer noch bei ihr. Wo sie hinlief, sie konnte ihr einfach nicht entkommen. Irgendwann brach sie völlig außer Atem und mit rasendem Herzen zusammen. Die Welt schwankte, und das letzte, was sie spürte, war nicht der harte Fliesenboden unter ihr, sondern die unerklärliche Kälte, die sie berührte, sie umarmte und sie einsog.
Als sie am nächsten Morgen gefunden wurde, lag sie reglos da, mit leeren, weit aufgerissenen Augen. Die Ärzte konnten keinen Herzinfarkt feststellen, auch keinen Schlaganfall. Sie war gesund gewesen, und doch war sie tot. Ihr Körper eiskalt, als hätte sie die gesamte Nacht draußen im Frost gelegen.
Obwohl Wochen seit Zaras Tod vergangen sind, kann niemand das Leichenschauhaus nach Einbruch der Dunkelheit betreten, ohne das kalte, unerklärliche Kribbeln zu spüren. Es ist die Kälte, die Zara auch gespürt hat, bevor sie starb. Die Kälte, die nach wie vor berührt. Jedem, der sie wahrnimmt, läuft ein Schauer über den Rücken. Sie hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack, als würde man realisieren, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als wir uns vorstellen können… und nicht alles davon ist gut.
Die Frage, die jeden, der das Leichenschauhaus betritt, seit Zaras Tod quält, ist die gleiche: War es die Kälte, die sie berührte und schließlich tötete? Oder war es etwas in der Kältekammer, das nicht von dieser Welt war… etwas, das nach wie vor dort ist und wartet?