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Geflüster aus der Tiefe

Geflüster aus der Tiefe

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Es war ein ruhiger Abend und Marla saß alleine in ihrem Zimmer. Die einzigen Geräusche waren das leise Summen ihres Laptops und das konsequente Klicken ihrer Finger auf der Tastatur. Studiumaufgaben hielten sie ganz gut in Anspruch und Marla war die einzige Nachteule in der studentischen Wohngemeinschaft, die sie mit drei anderen Studierenden teilte. Ein krachendes Geräusch aus der Küche riss sie abrupt aus ihrer Fokussierung.

Sie zog ihre Kopfhörer ab und lauschte in die Dunkelheit. Neben dem weit entfernten Lärm des nächtlichen Verkehres war nichts zu hören. Sie schüttelte den Kopf, nahm dies als Zeichen einer benötigten Pause und entschied, einen Snack aus der Küche zu holen. Die Küche war leer und ruhig, nichts deutete auf die Ursache des Geräuschs hin. Doch dann hörte sie es erneut – ein leises Flüstern, so leise dass sie es kaum wahrnahm. Es schien aus dem Keller zu kommen.

Ihre Mitbewohner hatten den Keller als Lagerraum genutzt und seit Monaten war niemand mehr dort gewesen. Warum sollte es dort unten jetzt Geräusche geben? Sie beschloss, nachzusehen. Mit der Taschenlampe ihres Handys leuchtete sie den Weg aus und stieg die knarrende Kellertreppe hinab.

Im Lichtkegel ihrer Taschenlampe sah sie nur alte Möbel, staubbedeckte Kartons und Spinnenweben. Das Flüstern wurde lauter, es schien von einer alten, verrosteten Truhe auszugehen, die in der Ecke des dunklen Kellers stand. Marla näherte sich zögernd der Kiste. Sie konnte juristische Texte interpretieren und wissenschaftliche Arbeiten schreiben, aber diesem Flüstern konnte sie keinen Sinn zuordnen. Es klang fremdartig und doch vertraut zugleich.

Mit zitternden Händen öffnete sie die Truhe. Sie war leer. Doch das Flüstern wurde lauter, es schien jetzt aus der Dunkelheit selbst zu kommen. Etwas an diesem Geräusch war unglaublich verstörend. Es klang, als ob es ihr direkt ins Ohr flüsterte, und es war kalt – eisig kalt. Ein kalter Schauer rannte ihr den Rücken hinunter und sie spürte, wie sich ihre Haare aufstellten.

Marla schloss die Truhe und ging schnell die Treppe hinauf, die Küchentür hinter sich abschließend. Den Rest der Nacht verbrachte sie in ihrem Zimmer, die Tür fest verschlossen und Musik auf voller Lautstärke spielend, um das Flüstern zu übertönen.

Am nächsten Morgen war das Flüstern verschwunden und Marla konnte es fast als Produkt ihrer überarbeiteten Fantasie abtun. Doch jede Nacht, um die gleiche Zeit, hörte sie es erneut. Die eisdurchlässigen Flüstern aus der Tiefe drängte sich in ihre Gedanken und ließ sie nicht mehr los. Angst kroch in ihr Herz, als sie das Geräusch vernahm und füllte sie mit einem greifbaren Schrecken, der sie lähmte.

Das Flüstern war noch immer ein Rätsel für Marla. Sie konnte den Ursprung nicht feststellen, konnte es nicht verstehen, konnte es nicht stoppen. Es kam und ging wie es wollte, ungebeten und unerwünscht, ein Phantomgeräusch aus der Dunkelheit.

Gefangen in ihrem eigenen Zuhause, zog Marla unter der ständigen Angst, das Flüstern könnte wiederkehren, in sich zurück. Sie fragte sich, was es war, wer es war und was es von ihr wollte. Die Fragen drehten sich in ihrem Kopf, während die Dunkelheit – und das Flüstern, das mit ihr kam – täglich näher rückte.

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