jeden Tag eine Geschichte
Erloschene Seelen

Erloschene Seelen

171

Es war der perfekte Tag für einen Ausflug in das alte Moosheim, ein scheinbar verlassenes Dorf am Rande des dunklen Waldes. Alexis, Melinda, Tyler und Jason, vier Studenten der Anthropolgie, waren gekommen, um die mythenumschwobene Ortschaft zu erforschen. Alte Erzählungen behaupteten, dass die Seelen der ehemaligen Bewohner noch immer im Dorf hausen würden – ein perfektes Thema für ihre Semesterarbeit.

Am ersten Tag untersuchten sie die steinernen Überreste der Gebäude, tasteten vorsichtig ihre Kameras und Aufnahmegeräte aus, um jedes geflüsterte Wort und jedes unerklärliche Bild einzufangen. Als der Abend hereinbrach und das Dorf im Dunkeln versank, versammelten sie sich in einem der weniger zerstörten Häuser und legten sich schlafen.

Aber der Schlaf war alles andere als friedlich. Alle vier wachten schweißgebadet auf, ihre Augen weit aufgerissen vor Grauen. Sie hatten alle denselben Traum gehabt – den des brennenden Dorfes, und der verzweifelten Seelen, die in den Flammen gefangen waren.

Nach diesem Erlebnis erwachte eine größere Entschlossenheit in ihnen, die Geschichte des Dorfes zu entdecken. Als die Sonne aufging, fanden sie in den Ruinen Fragmente längst vergessener Briefe und Tagebücher, die von einer verheerenden Feuersbrunst sprachen, die das Dorf vernichtet hatte. Sie sprachen von Einwohnern, die sich weigerten, ihr Zuhause zu verlassen, und die in den Flammen starben.

Die Tage verstrichen, und ihre Nächte wurden nur noch furchterregender. Jeder gruselige Traum brachte sie näher an die schreckliche Wahrheit des Dorfes heran. Träume, die sich anfühlten, als wären sie real. Träume von verzweifelten Seelen, gefangen in einem ewigen Inferno.

Am siebten Tag, kurz bevor die Dämmerung einbrach, fand Melinda etwas ungewöhnliches. Es war eine grob gefertigte Holzfigur, die sich in den Trümmern eines kleinen Hauses versteckt hatte. Sie war mit archaischen Symbolen bemalt und ausgetrockneter Erde gefüllt. Als sie die Figur berührte, fiel sie in Trance. Alle drei sahen ihr entsetzt zu, wie sie in einer altmodischen und unvertrauten Sprache sprach. Es waren die Worte der erloschenen Seelen:

„Lasst uns gehen, helft uns… Die Flammen… Endlose Qual… Lasst uns gehen…“

Befreit von der Trance, brach Melinda in Tränen aus. Sie packten ihre Sachen, ließen die Holzfigur zurück und eilten aus dem Dorf. Sie wurden nun begleitet von dem Gedanken, dass die Seelen, die vor langer Zeit in diesem Dorf verbrannt und gestorben waren, noch immer in den Ruinen, in den verbrannten Bäumen, in den zerfallenden Steinen und im waldbedeckten Grund hausten.

Sie verließen Moosheim, von Schaudern und Grauen erfüllt, ein gemeinsames Schweigen zwischen ihnen. Obwohl sie das Dorf verlassen hatten, würde Moosheim sie niemals verlassen. Immer wenn sie schliefen, würden sie das Schreien der Seelen hören, das Heulen der Flammen sehen und das Zischen der erloschenen Seelen fühlen. Für sie würde Moosheim ewig brennen, eine dunkle Erinnerung an diejenigen, die nicht gehen konnten.

Die Dorfgeschichte von Moosheim war ihre Geschichte geworden, eine gruselige, komplizierte Melodie des Todes und der Existenz, die ihren Gedanken und Träumen nährten. Die Legende lebte in ihnen weiter, und die Seelen wurden durch ihr Gedächtnis weiterhin am Leben erhalten.

Facebook
X
LinkedIn
Facebook
WhatsApp