jeden Tag eine Geschichte
Die Stille nach dem Schrei

Die Stille nach dem Schrei

1303

Es war ein gewöhnlicher Abend in einem kleinen, ländlichen Dorf namens Lorneville. Ein sanfter Sommerwind streifte durch leere Straßen und spielte Mitesser in den Feldern. Alles schien ruhig und friedlich zu sein, bis ein markerschütternder Schrei durch die kühle Abendluft hallte.

Es war kein typischer Schrei – es war ein Schrei, gefüllt mit reiner Angst und Verzweiflung, der selbst den friedlichsten Mann aufschrecken ließ. Fenster und Türen wurden hastig verschlossen. Ängstliche Augen lugten aus den Lücken der Vorhänge. Denn scheinbar kam der Schrei aus dem einzigen Haus, das sich am Ende des Dorfes befand – einem, das manche das „alte Spukhaus“ nannten.

Das Haus gehörte einst einer alten Dame namens Mrs. Harker. Sie wurde von den Dorfbewohnern gemieden, weil sie behaupteten, seltsame, kratzige Stimmen aus dem Haus gehört zu haben. Nach Mrs. Harkers Tod stand das Haus leer, und die Gerüchte um paranormale Aktivitäten wurden nur stärker.

Dieser Schrei war der erste Kontakt, den sie seit Jahren zu dem Haus hatten. Unbehagen und Furcht durchdrangen die Atmosphäre von Lorneville. Die Stille, die auf den Schrei folgte, war ohrenbetäubend. Jede Minute verstrich wie eine qualvolle Ewigkeit.

Mitten in der aufgeladenen Stille klopfte es an die Tür des Dorfwächters. Es war der junge Sam, der mit blassen, schweißverbildeten Gesicht wackeligen Schrittes vor ihm stand. „Ich-ich war es,“ stotterte er, „Ich bin in das Harker-Haus gegangen.“

Auch wenn der Wächter ein gutherziger Mann von Charakter war, konnte er seinen Ärger nicht verbergen. Sams jugendliche Überheblichkeit hatte schon immer zu Problemen im Dorf geführt. Dennoch, die Furcht in Sams Augen erweichte sein Stolz.

„Was haben Sie gesehen?“, fragte er gedämpft. Sam zitterte merklich, als er die Frage hörte, und schien um seine Fassung zu ringen. Dann hauchte er nur ein einziges, flüsterndes Wort – „Gesichter.“

Sofort ließ die Stille und Ruhe um sie herum gruselige Vermutungen aufkommen. Was konnte Sam nur mit ‚Gesichter‘ gemeint haben? Konnte es sein, dass Mrs. Harker nun tatsächlich von den Toten zurückgekehrt war? Die Unsicherheit verschärfte die Angst nur noch mehr.

Als das erste Licht des Morgens auf das Dorf fiel, hatte Sam den Ort bereits verlassen. In seinen letzten Worten hatte er die Dorfbewohner gewarnt, sich vom Harker-Haus fernzuhalten. Die Stille nach seinem Schrei war nur eine düstere Ahnung dessen, was noch kommen konnte. Es war, als würde das Haus auf den nächsten ahnungslosen Besucher lauern, um seinen Schrei in der tödlichen Stille zu ersticken.

Der Schrecken von Lorneville bleibt bis heute ungelöst, verstärkt durch die schreckliche Stille nach jedem Schrei. Die Frage bleibt, was im Haus der alten Mrs. Harker liegt. Ist es ein einfacher Streich von Sam, oder gibt es tatsächlich etwas in diesem Haus, das darauf wartet, dass seine Geschichte erzählt wird? Lorneville bleibt ein Dorf, gefangen in der gruseligen Stille nach dem Schrei.

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