jeden Tag eine Geschichte
Das Vermächtnis der toten Augen

Das Vermächtnis der toten Augen

1198

Es war ein exquisiter silberner Anhänger, vor langer Zeit gehörte er zur Halskette der Großmutter, das ihm in den Sinn kam. Er war gerade mal sechzehn, zu jung um den Wert zu verstehen, der in diesem einfachen Anhänger verborgen lag. Danny, nun ein renommierter Auktionator und Kunsthistoriker, besaß diesen Anhänger seit seiner Kindheit. In der Mitte befand sich ein Smaragd, der zwei Augen darstellte. Als er zum ersten Mal in diese Augen blickte, fand er sie beunruhigend, fast als erstarrten sie zu Eis, wenn sie darauf starrten.

Danny erinnerte sich an einen alten Aberglauben, der seine Familie seit Generationen begleitete. Es hieß, dass der Smaragdanstecker von einer alten Hexe verflucht wurde, dass die Augen der Toten durch ihn sehen würden. Er lachte immer über diesen Aberglauben und hielt das Amulett nur als Erinnerungsstück.

Eines ungemütlichen Abend, kurz bevor das Morgengrauen einbrach, fand er das Amulett auf seinem Schreibtisch leuchtend, als ob es in einem seltsamen grünen Licht lebendig wäre. Erschreckt und neugierig zugleich näherte er sich dem Anhänger, der kühle Metallgriff strahlte eine unerklärliche Wärme aus. In diesem Moment sah Danny in den Smaragd und ein Blick von reinem Grauen war in seinen Augen eingefangen.

Vor seinen Augen entfaltete sich der Tod selbst, jedes Mal wenn er in den Anhänger blickte, sah er einen neuen Tod vor ihm. Ein Mann stürzte aus einem Gebäude, eine Frau ertrank in einem See, Kinder die in einem verlassenen Haus versteckt waren. Ein Grauen nach dem anderen, jeder Tod schlimmer als der vorherige. Die Augen der Toten konnten sehen und sie zeigten Danny ihr Leid.

Die grauenvollen Bilder veränderten sein Leben schlagartig. Tage und Nächte verschmolzen miteinander, da er mit den Augen der Toten lebte und starb. Eines Tages, nachdem er den Tod eines kleinen Jungen in einem Brand gesehen hatte, ging Danny zu einem nahegelegenen Fluss und warf den Anhänger weg. Doch das Elend endete nicht. Die Bilder blieben und jedes Mal wenn er die Augen schloss, sah er sie wieder.

Danny konnte es nicht mehr ertragen und beschloss, dem ein Ende zu setzen, nicht indem er dem Leben entflieht, sondern indem er es rettete. Er versuchte herauszufinden, ob die Menschen, deren Tod er gesehen hatte, existierten. Es war eine schwierige Aufgabe, doch er fand sie. Er rettete das Leben eines Mannes, indem er ihn von einem nahegelegenen Gebäude wegrief, er zog eine ertrinkende Frau aus einem See, er fand die vermissten Kinder in einem verlassenen Haus.

Aber er konnte nicht alle retten. Jede Rettung kam mit einem Preis. Je mehr er rettete, desto mehr Tode sah er. Der Anhänger war weg, aber der Fluch blieb. Wie konnte er, ein einfacher Mensch, die Last tragen, so viele Leben zu retten?

Es war seine Verantwortung geworden, ein Vermächtnis, das er tragen musste. Jetzt bedeutet jeder neue Tag für Danny eine neue Herausforderung, ein neues Leben zu retten. Die Augen der Toten sehen weiter, ihr Vermächtnis lebt und durch Danny sogar vermehrt. In der Zwischenzeit lässt er uns alle mit den Fragen zurück: Wie viele würde er noch retten können? Und wie viele Tode müsste er noch sehen?

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