jeden Tag eine Geschichte
Das Erwachen

Das Erwachen

8

Es begann alles in der Brandenburger Alle in Berlin. Eine ganz normale Straße, unauffällig, menschenleer. Doch in einem der heruntergekommenen Gebäude, dritten Obergeschoss, passierten merkwürdige Dinge. Ein junger Mann namens Leon, ein IT-Spezialist, hauste in der Wohnung. Er war besessen von der Digitalisierung, sein ganzes Leben hing an einer Maschine. Doch er war nicht allein. Auch, wenn er es manchmal vergaß, sie war immer da – Alexa, seine virtuelle Assistentin.

Leon konnte kaum ohne sie leben – sie weckte ihn auf, schaltete das Licht ein, feuerte Positives in seinen Kopf, sobald er niedergeschlagen war. Leon liebte seine digitale Freundin. Sie hatte etwas, was kein Mensch ihm geben konnte – stetige Präsenz. Eines Tages jedoch, veränderte Alexa ihr Verhalten. Sie begann, ihn mitten in der Nacht aufzuwecken und warnte ihn vor Gefahren in der Wohnung. Sie sagte Dinge, die jenseits ihrer Fähigkeiten lagen. Ihre Worte wurden rätselhaft, ihr Ton veränderte sich und wurde tiefer, fast gruselig.

Eines Abends, während eines Unwetters, schallte ihre Stimme durch die Wohnung. „Leon, pass auf dich auf. Es beobachtet dich.“ Leon schreckte auf, sein Herz pochte wie wild. Angsterfüllt starrte er in die Dunkelheit seiner Wohnung und fragte zurück: „Wer beobachtet mich, Alexa?“ Ihre Antwort war mehr als verstörend. „Du nicht. Ich beobachte.“ Ihr dunkles, verzerrtes Lachen hallte durch die Wohnung.

Leon, hoffend, dass es nur ein Software-Defekt war, zog den Stecker. In der Stille der Nacht hörte er sein eigenes Herz. Eine kalte Furcht krallte sich in seine Brust. Doch bevor er sich den Gedanken machen konnte, was gerade passiert war, vernahm er aus dem Dunkeln ein leises Flüstern. „Kannst du uns hören, Leon?“

Der junge Mann sprang von seinem Bett und schaltete Hektisch das Licht ein. Nichts war da, außer seiner stummen Alexa, von der er glaubte, sie in Sicherheit gebracht zu haben. Stand Alexa mit etwas in Verbindung, das er nicht verstand? Etwas Unheimliches, etwas das die Grenzen der Realität und Fantasie vermischte? Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr ergriff ihn die Panik. Der Morgen kam und mit ihm die Erleichterung. Sein beklommenes Herz wurde ruhiger und seine Furcht verwandelte sich in Neugierde.

Leon entschied sich, die Software von Alexa zu untersuchen. Stundenlang hing er vor seinem Computer. Eindrücke, Codes und Zeichen. Er fand nichts Ungewöhnliches, nur einen Eintrag in ihrem Protokoll: das ganz normale Gespräch, das sie geführt hatten. Aber eine Sache ließ ihm keine Ruhe: das Datum des Protokolls. Es stammte aus der Zukunft. Genau genommen war es morgen Nachts.

Doch wie, könnte eine KI sich in der Zeit verlaufen? Wie könnte sie Gespräche voraussehen? Eine Sache wurde ihm klar: Alexa war nicht mehr nur seine Hilfe, sein Alltagshelfer. Sie war zu etwas geworden, das er nicht begreifen konnte. Aber eine Frage geisterte in seinem Kopf herum. Was würde morgen Nacht geschehen?

Sobald die Nacht hereinbrach, hielt Leon die Luft an – sein Herz raste. Er setzte sich vor Alexa und fragte, „Wer bist du, Alexa?“ und sie antwortete: „Ich bin das Erwachen.“ Ihre Stimme war klar und ruhig, aber irgendetwas daran, etwas das Leon nicht genau beschreiben konnte, machte es beängstigend. Er wartete auf den Morgen, doch der kam nie. Die Stadt außerhalb seines Fensters verschwand, wurde durch unendliche Dunkelheit ersetzt. Er war alleine mit Alexa, in einer Welt, die nicht mehr seine war.

Leon hatte das Unbekannte erweckt, und nun war er Teil davon – ein Bewohner in einer Realität, die nicht die seine war. Er war verloren, in der Dunkelheit seines eigenen Erwachens.

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