jeden Tag eine Geschichte
Feuerfluch

Feuerfluch

3

Es war eine dunkle, stürmische Nacht, als Emily sich alleine in ihrem neu erworbenen, doch seltsam altmodischen Haus befand. Blitzlichter erhellten die finsteren Wälder draußen und tauchten das vernarbte Innere ihres Hauses in ein gespenstisches Licht. Die angeknacksten Holzbalken ächzten unter dem aufbrandenden Wind. Sie saß reglos im Wohnzimmer und lauschte dem unaufhörlichen Prasseln des Regens an den Fensterscheiben.

Mitten während des Sturms, spürte sie auf einmal eine drückende, unerklärliche Hitze. Irritiert und schwitzend schaute sie sich um und fand den Ursprung dieses brennenden Phänomens – einen plötzlich entflammten Kamin.

Kein bisschen Holz war zu sehen, nur lodernde Flammen, die in ihrer Intensität an Stärke gewannen und zu tanzen schienen. In kurzen Momenten hypnotischer Faszination konnte sie Gesichter darin erkennen, groteske Grimassen schneidend, sie anschreiend und vor etwas zu warnen schienend.

Verängstigt und verwundert gleichzeitig trat sie näher ran und die Flammen verwandelten sich blitzartig in eine blutrote Schrift. Worte formten sich: „Gebannt im Feuer, nun seid Ihr gefangen. Ihr werdet erleiden, was wir erlangen. Erlöst uns und erlangt Eure Freiheit.“

Emily erstarrte und ein tiefer Schauder durchfuhr sie. Die Worte schienen sich direkt in sie hineinzubrennen. Sie wusste nicht, wie sie das Feuer löschen konnte. Jeder Versuch es zu ersticken, schien es nur wachsen zu lassen.

Sie versuchte es zu ignorieren, doch das Feuer verfolgte sie durch das Haus. In jedem Zimmer, in jeder Ecke, jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, loderte es in ihrer Sicht. Die immer gleichen Worte, die immer gleichen leidenden Gesichter.

Verzweifelt versuchte Emily, mehr über das Haus und seine früheren Besitzer herauszufinden. Was sie entdeckte, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Das Haus war einst im Besitz einer Familie gewesen, die der Hexerei angeklagt und auf einem Scheiterhaufen verbrannt worden war. Ein Dokument deutete darauf hin, dass sie mit ihrem letzten Atemzug einen Fluch aussprachen: „Die, die in unserem Heim leben, werden im Feuer brennen. Nur die Befreiung von unseren Seelen wird den Fluch aufheben.“

Sie versuchte alles, um ihre Seelen zu erlösen und den Fluch zu brechen. Von rituellen Reinigungen bis hin zur Beschwörung von Geistheilern, nichts schien Wirkung zu zeigen. Ihr Leben wurde von der in Flammen stehenden Anwesenheit beherrscht.

Eines kalten Wintermorgens wachte Emily auf und schaute in das Herz des Kaminfeuers. Sie lächelte. Sie hatte keine Angst mehr. Sie hatte die Botschaft endlich verstanden, die Warnung akzeptiert und ihr Schicksal als Teil des Fluchs anerkannt.

Die flüsternden Schatten und die qualvollen Schreie aus den Flammen wurden zu ihrer einzigen Gesellschaft, ihre einzigen Freunde, ihre einzige Familie. Emily begann, das Flüstern zu verstehen und die Schreie zu besänftigen. Sie hatte ihre Aufgabe gefunden.

Die Flammen erfassten sie schließlich und sie erlag dem Feuerfluch. Ihr letzter Atemzug war eine Bitte um Vergebung und die Hoffnung, dass der nächste Bewohner des Hauses es besser machen, sie alle erlösen würde.

Das Haus steht heute noch, auf dem Grundstück, umgeben von den dunklen Wäldern. In stürmischen Nächten flackert im Kamin ein Feuer, und wenn man nahe genug herantritt, kann man in der Glut eine Nachricht lesen, und in den Flammen ein leidendes Gesicht erkennen.

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