Tief und düster erstrecken sich die alten Wälder, durch deren Laubwerk nicht einmal das strahlendste Sonnenlicht dringen kann. Jeder Schritt auf dem feuchten Moos erzeugt ein leises Knirschen, das sich in der stillen Luft fast bedrohlich anhört.
Susanne, eine junge, abenteuerlustige Frau tritt mutig in diese unergründliche Dunkelheit. Mit einer kleinen Taschenlampe in der Hand durchquert sie die Wildnis, die mit jedem Meter dunkler und bedrohlicher wird. Susanne will die alten Legenden darum, dass die Bäume sprechen können, verstehen. Vielleicht waren es nur alte Mythen der Ureinwohner, vielleicht aber auch nicht.
Plötzlich hört sie das erste Flüstern. Es ist so sanft und fein, dass es kaum wahrnehmbar ist. Es scheint von überall und nirgends gleichzeitig zu kommen, als ob die Bäume selbst es kaum aushalten könnten, ihre Gedanken für sich zu behalten. Susanne bleibt stehen, die Lampe zittert leicht in ihrer Hand. Trotz der Dunkelheit sieht sie die Konturen der alten Bäume vor sich. Sie beginnt ihnen zuzuhören.
Eine unendliche Melodie aus leisen Worten und weichen Stimmen erklingt in ihrem Geist und schwebt durch den Wald. Die Erzählungen der Bäume scheinen älter als die Zeit selbst zu sein. Sie sprechen von anderen Epochen, flüstern Geschichten von Kriegen, Frieden, Liebe und Verlust. Jedes Blatt und jeder Zweig scheint eine eigene Story zu erzählen, die sich in der Dunkelheit des Waldes entfaltet.
Susanne spürt eine besondere Präsenz, während sie der unergründlichen Sinfonie lauscht. Eine dunkle, unheimliche Kraft scheint von den Bäumen auszugehen. Sie kann ihren Blick nicht von dem großen, uralten Baum abwenden, der vor ihr steht. Seine Rinde ist von tiefen Narben gezeichnet, scheinbar Zeugnisse langer, vergangener Zeiten.
Das Flüstern wird intensiver, beängstigender. Susanne hört Worte, die sie nicht verstehen kann, in einer Sprache, die älter als die Menschheit scheint. Sie fühlt sich schwindelig, ihre Knie werden weich. Sie lässt sich an den Fuß des großen Baums sinken.
Plötzlich verstummen alle Stimmen. Ein leises Raunen bleibt, als eine tiefe, unheimliche Stimme in der Stille des Waldes zu sprechen beginnt. Die Stimme scheint aus dem Baum direkt unter ihr zu kommen. Susanne schaut auf. In der dunklen Rinde öffnet sich langsam ein schmales, langes Loch. Ein Auge, fast menschlich, aber mit einer uralten, tiefschwarzen Pupille schaut sie direkt an.
Die Stimme spricht wieder, ein tiefer Hall, der den gesamten Wald erfüllt. Die Worte formen sich langsam in ihrem Kopf, drängen in ihr Bewusstsein. „Susanne, du hast uns gehört. Du hast den Mut, hinzuhören, zu verstehen. Aber hast du auch den Mut, zu handeln?“
Susanne starrt auf das Auge in der Rinde, das sie weiterhin unverwandt anblickt. Sie spürt die immense Macht, die von diesem alten Wesen ausgeht. Sie weiß noch nicht, was diese Worte bedeuten, aber sie spürt, dass sie ihr Leben für immer verändern werden.
Unter dem intensiven Blick des Baumes rempelt sie in eine tiefe Ohnmacht, da sie die Worte nicht greifen kann. Als sie wieder erwacht, ist das Auge verschwunden und der Wald wieder still. Nur ihr Herz schlägt heftig gegen ihre Brust. Sie nimmt ihre Taschenlampe und geht zurück nach Hause. Doch das Flüstern des Waldes und das Auge des Baums verfolgen sie bis in ihre Träume, während die Bäume leise weiterflüstern.