jeden Tag eine Geschichte
Die letzte Tür

Die letzte Tür

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Wenn die Sonne unterging, wurde eine Tür, die auf keiner Karte markiert war und die kein Bewohner des Städtchens je bemerkt hatte, sichtbar. Sie stand zwischen zwei normalen Häusern in der Main Street, unmerklich, wie von einem unsichtbaren Schleier verdeckt. Nur eine kleine Minderheit konnte die Tür sehen, und einige von ihnen konnte das dunkle Geheimnis, das dahinter lag, sogar entziffern.

Lucas, der Sohn des Bürgermeisters, gehörte zu diesen wenigen Auserwählten. Als er eines Tages nach Sonnenuntergang die Main Street entlang ging, bemerkte er die seltsame Tür zwischen den beiden Häusern. Sie war alt und verwittert, die Farbe blätterte ab und sie strahlte einen unheimlichen und doch mysteriösen Reiz aus.

Obwohl er sich sicher war, dass sie vorher nicht dagewesen war, konnte Lucas der Versuchung nicht widerstehen und griff nach dem eisenbeschlagenen Knauf. Die Tür verlangte eine Auswahl. „Wer bist du?“ flüsterte sie, als er am Knauf rüttelte. „Ich bin frei“, antwortete Lucas, in der Hoffnung, dass dies genügte. Er hörte ein leises Klicken und die Tür schwang auf.

Hinter ihr gab es nur Dunkelheit. Einen Moment lang zögerte Lucas, dann trat er mutig vor. Kaum hatte er die Schwelle überschritten, knallte die Tür hinter ihm zu und verschmolz mit der Wand, als wäre sie nie da gewesen. Lucas fand sich in endloser Dunkelheit wieder.

Er fühlte sie zuerst, die glühenden Augen, die ihn beobachteten. Er blieb still stehen und lauschte, sein Herz raste. Plötzlich fühlte er etwas Kaltes auf seiner Schulter. Er schrie auf und drehte sich um, nur um ins Leere zu starren.

Nach einigen endlos scheinenden Minuten gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Er sah Umrisse, Gestalten. Ein Zimmer bildete sich vor seinen Augen. Es war ein altes Büro, mit einer großen Eichenholz-Schreibtisch in der Mitte. Papiere, Tintenfässer und Federhalter waren über die Oberfläche verstreut, bedeckt mit einer dicken Schicht Staub.

In der Mitte des Schreibtisches war ein aufgeschlagenes Tagebuch. Lucas trat näher, seine Augen skandierten die geschriebenen Zeilen. Es war das Tagebuch des Gründers dieses Städtchens, der von den Bewohnern verbannt worden war, weil er sich mit Dingen beschäftigte, die nicht von dieser Welt waren. Die Einträge waren von Wahnsinn und Verzweiflung geprägt.

Aber ein Eintrag hob sich von den anderen ab. Er datierte auf das Datum, an dem Lucas die Tür durchschritten hatte. Und in einer Schrift, die Lucas erschaudern ließ, weil sie seiner eigenen so sehr ähnelte, stand dort: „Ich bin frei“.

Obwohl er versuchte, das Büro zu verlassen, fand er keine Tür. Die Dunkelheit umschloss ihn. Er war gefangen, genau wie der Gründer, der vor ihm gekommen und dem gleichen Schicksal erlegen war. Er war in einer Welt gefangen, die außerhalb der normalen Welt existierte und die nur durch eine Tür betreten werden konnte, die nur für die gesehen werden konnte, die bereit waren, ihren Freiheitswillen aufzugeben. Er verstand es nun. Er hatte verloren.

Die nächsten Tage war Lucas unauffindbar. Die anderen Bewohner suchten ihn, doch niemand dachte daran, die letzte Tür zu überprüfen. Diese Tür, die für sie unsichtbar wurde, als die Sonne aufging.

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