Riley saß alleine in ihrem neu eingerichteten Apartment und starrte ihre Hand an. Ein feines Netz grausamer Risse überzog ihre Haut. Sie hatte dieses Bild immer wieder gesehen, in den Nachrichten, auf den sozialen Medien. Doch wie viele andere hatte sie es ignoriert, sich einreden lassen, es sei ein Hoax, ein schlechter Scherz. Bis es an IHRER Hand begann.
Die Risse waren klein angefangen, kaum sichtbar. In den nächsten Wochen wuchsen sie jedoch stetig, sowohl in ihrer Anzahl als auch in ihrer Tiefe. Zu ihrer Erleichterung blieben sie schmerzlos, unerklärlich, mysteriös.
Riley bekam Angst, als die Menschen in den sozialen Medien begannen, über ihre Symptome zu berichten. Manche waren ruhig, andere hysterisch. Manchmal sah man nur Bilder ihrer Hände und ihre Bitten um Hilfe. Ärzte versuchten vergeblich, eine Erklärung oder ein Heilmittel zu finden.
Die Gesellschaft spaltete sich. Glaubensgemeinschaften prophezeiten das Ende der Welt. Wissenschaftler rangen um eine logische Erklärung oder eine Heilung. Skeptiker wiesen auf Fotoshops und Fakes hin. Aber jeder Tag brachte mehr Bilder, mehr Risse, mehr Angst.
Als der erste Mensch starb, brach Chaos aus. Live gestreamt, sah die Welt, wie die Risse eines Mannes tiefer und breiter wurden, bis er schließlich, nachdem er vollständig von den Rissen überzogen war, mit einem plötzlichen Schrei zu Staub zerfiel. Die Panik verbreitete sich schneller als die Risse.
Riley sah sich das Video immer und immer wieder an und konnte doch nicht wegschauen. Sie konnte die Schreie, die Verzweiflung, den Staub nicht vergessen. Sie konnte es nicht vergessen, denn nun begannen auch ihre Risse zu wachsen.
Sie isolierte sich, in der vagen Hoffnung, die Risse könnten ansteckend sein. Sie aß kaum, schlief unruhig, wachte immer wieder auf, um die Fortschritte der Risse zu überwachen. Sie fühlte sich zerrissen zwischen der Angst, dem anonymen Mann ins Nirgendwo zu folgen, und der elenden Hoffnung auf ein Wunder.
Riley bemerkte, wie ihr Körper begann, die Kontrolle zu verlieren. Ihre Finger reagierten nicht mehr richtig, ihre Haut fühlte sich taub an. Sie konnte die Risse sehen, die sich nun auf ihrem ganzen Körper ausbreiteten, konnte nur noch hilflos zusehen, wie sie Stück für Stück verfiel.
An ihrem letzten Tag schaltete Riley ihre Webcam ein und startete einen Livestream. Sie zeigte der Welt ihr Gesicht, ihre Risse, ihren Abschied. Sie sprach über ihre Ängste und Hoffnungen, das Unverständnis und die Hilflosigkeit, die sie gefühlt hatte.
Mit zitternden, unberechenbaren Händen tippte sie ihre letzte Nachricht an die Welt. Ein verzweifeltes Flehen an die Menschheit, durch die Unbegreiflichkeit der Situation und das Chaos hindurch Menschlichkeit und Mitgefühl zu bewahren.
Riley lächelte und schloss die Augen. Die Zuschauer hielten den Atem an, als sie die Risse sahen, die sich nun endgültig über Rileys Gesicht ausbreiteten. Und dann, mit einem letzten seufzenden Atemzug, zerfiel sie. Ein Haufen Asche dort, wo einmal ein lebensfrohes, hoffnungsvolles Mädchen gesessen hatte.
Die Zuschauerzahl der Livestreams stieg, die Klicks auf ihre letzten Worte explodierten. Rileys Geschichte, ihr Appell an die Menschlichkeit, ihre Angst und ihr Scheitern wurden zur Legende in den sozialen Medien. Und doch blieb die Welt zurück, zerrissen und fragte sich, wer als nächstes…