Die Stadt hat einen Puls, dessen Schlag auf den leeren Straßen widerhallt. Der Rhythmus, ein nervöses Pochen, dringt von den unterirdischen U-Bahn-Linien und den schmutzigen Wasserkanälen auf die Oberfläche. Sebastian betrachtete die Stadtseite, die niemand kannte. Als Teil des städtischen Wartungsteams war er mit den verborgenen Katakomben vertraut, den dunklen Unterwelten, die zum Treffpunkt verlorener Seelen und unruhiger Geister wurden.
Heute Abend hatte Sebastian einen unheimlichen Schlüssel zu einer unerforschten Tür erhalten, mit Namen und Datum, aber ohne weitere Anweisungen. „Erwarte das Unerwartete“ stand auf der Karte. Mit zusammengebissenen Zähnen steckte er den Schlüssel in das rostige Schlüsselloch und drehte. Der eiserne Reißverschluss der Tür gab ein Geräusch von sich, das an das Klirren von Skelett-Händen erinnerte.
Hinter der Tür wartete ein langer, dunkler Tunnel. Nur ein schmummriges Licht am Ende signalisierte das Ende des unterirdischen Pfades. Dahin musste er gehen. Seine Schritte hallten ihm entgegen, als er sich immer tiefer hinein wagte. Die Luft schien schwerer zu werden, schwanger mit einer nicht greifbaren Düsternis. Die Wände schienen sich zu bewegen, zu flüstern, in Sprachen, die nur die Toten verstehen.
Sebastian fühlte plötzlich einen kalten Atem, der seinen Nacken berührte. Er schauderte und drehte sich um, doch da war nichts. Nur die Dunkelheit. Indem er weiterging, fühlte er sich immer unruhiger, verfolgt von etwas, das er nicht sehen konnte. Dann hörte er es, ein leises Weinen, ganz am Rand seiner Wahrnehmung. Sein Herz schlug wild, während er der Quelle des Wehens folgte. Er bemerkte eine Gestalt, die in der Dunkelheit auf einem alten Stuhl zusammengekauert saß.
Je näher er kam, desto mehr verwandelte sich das Weinen in eine grässliche und markerschütternde Klage. Die Gestalt war eine Frau, bleich und durchscheinend. Ihr transparenter Schluchzer brach im Echo der Tunnelwände ab. Doch die traurigen Augen blickten direkt in seine Seele. Bevor er reagieren konnte, hob sie eine Hand und zeigte auf eine verblasste Wandmalerei.
Auf der Wand war eine Stadtzeichnung, doch nicht die, die er kannte. Die Gebäude waren verbotene Türme, von Geistern und Dämonen bevölkert; die Straßen waren dunkle Pfade der Verzweiflung, und anstelle der lebendigen Menschenmassen waren nur Geisterschatten. Und in der Mitte stand ein mausoleumartiges Gebäude, das bis zum Rand mit dunkler Energie gefüllt war.
Die Geisterfrau schaute ihn mit ihren traurigen Augen an: „Dies ist unsere Welt, die Unterwelten. Unsere Gefängniszelle für die Ewigkeit.“ Der kalte Hauch, das Weinen, der gruselige Tunnel, sie alle erzeugten eine furchtbare Erkenntnis. Die Stadt hatte nicht nur eine Unterwelt, sie war die Unterwelt – ein Ort, wo die Seelen keine Ruhe finden, gefangen in einer ewigen Dunkelheit.
Mit einem Schrei stürzte Sebastian zurück, die Geisterfrau verschwand, der Tunnel schmolz weg und der Lichtfleck wurde erneut lebendig. Als er wieder auf die Straße hervorbrach, war die Stadt nicht mehr dieselbe. Jeder Flüstern des Windes, jeder Schatten schrie nach den verlorenen Geisterseelen. Jeder nächste Schritt war ein Geschenk, denn in den Unterwelten ist jeder Schritt dein letzter.