Lina zog ihren Mantel enger um ihre schmale Figur, während sie durch die regennassen Straßen ging. Sie war auf dem Weg zu ihrer neuen Wohnung, einem umgebauten Lagerhaus mitten in der Stadt. Es war günstig, ziemlich groß und seltsamerweise immer noch verfügbar – ein seltsames Angebot, das man nicht ablehnen konnte.
Bei ihrer Ankunft begrüßte sie eine bleierne Stille. Eine dichte Dunkelheit schlug ihr entgegen, als sie die Tür aufschloss und betrat. Sie zuckte mit den Schultern und lächelte schief. Ein neuer Anfang, dachte sie, während sie ihr neues Zuhause erkundete.
Die Tage verstrichen in einem Dunst aus Kartons und Möbelaufbau. Doch mit der Zeit bemerkte Lina einige merkwürdige Dinge. Ihr Telefon, das sie immer auf dem Küchentisch liegen ließ, erschien plötzlich in ihrem Bad. Ihre abgelegten Schlüssel, fand sie im Kühlschrank. Anfangs schrieb sie es dem Stress und der Unordnung zu.
Doch dann wurde es seltsamer. Des Nachts hallten Geräusche durch das Haus, von unidentifizierbaren Schritten bis zu gedämpften Stimmen. Manchmal fühlte sie sich beobachtet, obwohl sie ganz allein war. Lina fing an, schlecht zu schlafen und ihre Freunde bemerkten ihre zunehmend angespannte Haltung.
Sie versuchte, rationale Erklärungen für die Vorkommnisse zu finden. Es mussten die Nachbarn sein oder vielleicht spielte der Wind seine empfindlichen Streiche. Trotz allem konnte sie das unbehagliche Gefühl nicht abschütteln. Ihre Räume, die vorher so groß und offen erschienen, fühlten sich nun eng und erdrückend an.
Eine Nacht wurde sie durch einen Laut geweckt, der wie das Schleifen von Metall auf Metall klang. Ihr Herz schlug hart in ihrer Brust, als sie die Decke beiseiteschob und aufstand. Sie folgte dem Geräusch, das aus dem Flur zu kommen schien.
Linas Hände zitterten, als sie die Taschenlampe auf ihrem Handy einschaltete. Der Lichtstrahl fiel auf etwas, das im Dunkeln glänzte – etwas Nickelplattiertes lag unscheinbar auf dem Boden. Es war eine kleine Metallkette. Sie betrachtete sie verwirrt und hob sie auf. Woher kam sie nur?
Gerade als sie das Objekt näher betrachtete, hörte sie das Wispern. Eine leise, kaum hörbare Stimme, die ihren Namen flüsterte. Sie wirbelte herum und der Lichtstrahl ging durch das leere Wohnzimmer. Niemand war zu sehen, und doch fuhr das Flüstern fort: „Lina… Lina…“. Der Klang war nicht nur um sie herum, sie fühlte es tief in ihrem Inneren und es war mit jedem Wispern hartnäckiger, verzweifelter.
In der folgenden Woche suchte Lina die gesamte Wohnung ab, doch sie fand keine Antwort auf die Herkunft der unsichtbaren Stimmen oder der Kette. Die Unsicherheit nagte an ihr, sie fühlte sich eingesperrt in ihrem eigenen Haus. Jede Nacht die gleiche Tortur. Flüstern. Kettenrasseln. Ihr Name.
Eine Nacht, als das Getöse wieder begann, stand sie auf. Sie folgte den unsichtbaren Stimmen bis in die Eingangshalle ihrer Wohnung. Ihre Hand zog sie zur Haustür, sie konnte die kalte Metallkette in ihrer Handfläche spüren, noch bevor sie hinschaute. Sie hob den Blick und da war es. Von der Decke hingen dutzende Ketten herab, scheppernd und glänzend im sanften Licht ihrer Taschenlampe. Sie glaubte fast, diese Ketten zu spüren – die unsichtbaren Ketten, die jemand zuvor getragen hatte.
Von jenem Tag an zog Lina aus. Die Geräusche, die Stimmen, sie waren einfach zu viel. Sie verließ das Lagerhaus und zog in eine winzige Wohnung am anderen Ende der Stadt. Aber manchmal, in stillen Nächten, wenn alles um sie herum schlief, hörte sie es noch immer. Ein kaum hörbares Flüstern, ein Rasseln von Ketten, ihr eigener Name in vertrautem Ton.
Und sie spürte sie – die unsichtbaren Ketten, jene Ketten, die niemand anderes sehen konnte. Aber sie wusste, sie waren da. Und sie konnte sich niemals ganz von ihnen lösen.