In der stillen Welt des Morgennebels hörte Emily eine Stimme. Es war kein normaler Ton, sondern ein Flüstern, das locker durch die kalte Luft wehte, getragen vom feuchten Hauch des Nebels. Es rief ihren Namen sanft, seufzend – Emily…
Niemand war in Sicht. Es war zu früh und der Nebel war zu dick, um etwas zu erkennen. Emily hielt an und schaute sich um. Nichts. Sie schüttelte den Kopf und fuhr fort. Es war nur ihre Einbildungskraft, davon war sie überzeugt. So joggte sie weiter, den Nebeleffekten zum Trotz.
Einige Minuten später hörte sie es wieder – „Emily…“. Dieses Mal glich die Stimme jedoch einem Flüstern, eines Alten, voller Reue und doch gefüllt mit einer Ruhe, die beunruhigend war. Sie stoppte, der Atem stieß schnell aus ihrer Lunge. Sie blickte in den Nebel, doch sie sah nichts. Der kalte Tau benetzte ihre Haut, ihr Herz pochte erwartungsvoll im Rhythmus der Stille.
Sie schrie in die Leere hinein. Keine Antwort. Die Stille hallte in ihren Ohren wider. Panisch rannte sie los, die Stimme hallte in ihrem Kopf wieder. Sie rannte schneller und schneller, der Nebel nahm ihr fast die Sicht.
Plötzlich hörte sie das Geräusch von Schritten hinter sich, dicht gefolgt von der sich nähernden Stimme. „Emily…“ Es wuchs lauter und lauter, und schließlich fiel sie hin.
Sie drehte sich um, hin und her, um zu sehen, wer sie rief. Doch es gab niemanden. Nur der Nebel, der sie mit gnadenloser Stille umhüllte. Emily begann zu weinen, unkontrolliert, das Herz vor Angst wund.
Wie aus dem Nichts, tauchte eine Gestalt aus dem Nebel auf, eine Silhouette eines Mannes, alt und gebrechlich. Seine Augen waren leer und doch irgendwie gequält. Emily starrte ihn an, erkannte ihn jedoch nicht.
„Emily…“ wisperte er. Sie erkannte die Stimme. Die Stimme, die sie den gesamten Morgen verfolgt hatte. Die Stimme wirkte bekannt, quälend vertraut. Doch sein Gesicht… sein leeres, emotionloses Gesicht brachte den Schrecken tief in ihr Herz.
Bevor sie etwas sagen konnte, breitete der Alte seine Arme aus. Eine eisige Kälte umhüllte sie und Emily sah auf seine Hände. Sie waren alt und verwittert, fast geisterhaft. Emily begann zu zittern, sie fühlte sich plötzlich so kalt, so leblos.
Dann geschah es. Ein letztes, krächzendes, „Emily…“ kam aus seinem trockenen Mund, bevor der alte Mann zerfiel. Er zerfiel wie Asche, die von einem unsichtbaren Wind verweht wurde, bis nur noch der Nebel zurückblieb und die kalte Morgenstille.
Emily stand auf und starrte auf den Ort, wo der alte Mann gestanden hatte. Die Luft schien noch kälter zu sein, noch erdrückender. Sie blieb alleine zurück, mit dem Echo der Stimme noch in ihrem Ohr. Und obwohl der Mann verschwunden war, fühlte sie immer noch seine Anwesenheit. Sein letztes „Emily…“ schwebte mit ihr durch den Rest des Morgens.
Seitdem sucht Emily jeden Morgen bei ihrem Lauf im Morgengrauen nach dem alten Mann. Sie hört seine Stimme nicht mehr, aber sie hat das Gefühl, dass er immer noch da ist, verborgen im Morgennebel, seine Worte von Reue und Ruhe immer noch in der kalten Morgenluft. Es ist ein Gefühl, das sie nicht abschütteln kann, eine Präsenz, die immer da zu sein scheint, in den stimmenhaften Morgennebeln.