jeden Tag eine Geschichte
Schreie der Verkohlten

Schreie der Verkohlten

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Mitten in der Stadt, in einem verlassenen, heruntergekommenen Bürogebäude, wohnte eine eigenartige Gemeinschaft von Technik-Nerds. Sie waren unabhängige Hacker und Game-Designer, immer auf der Suche nach Nervenkitzel und dem Ungewöhnlichen. Eines ihrer Mitglieder, Leonard, war ein begabter Programmierer und arbeitete an einer hochmodernen Virtual-Reality-Software.

Leonards Lieblingsprojekt war ein Spiel mit dem Namen „Abyss“. Es sollte der ultimative Grusel-Thriller sein, der die Spieler an die Grenzen ihres Verstandes bringen würde. Mit speziellen Sensoren, die sogar körperliche Empfindungen simulieren konnten, versprach „Abyss“ ein immersives Erlebnis. Leonard arbeitete unermüdlich daran, immer besessener von der Perfektionierung seiner Kreation.

Eines Abends kündigte Leonard an, dass „Abyss“ zum Testen bereit sei. Er lud die gesamte Gemeinschaft ein, das Spiel auszuprobieren. Einige sprangen vor Aufregung fast aus der Haut, andere hatten eine unbestimmte Angst. War es zu viel Perfektion? Zu realistisch?

Als die Sonne unterging und der Mond sich zeigte, betrat Leonard als Erster das Spiel. Mit dem VR-Headset fest auf dem Kopf und seinen Händen an den Controllern, sank Leonard in die Dunkelheit von „Abyss“. Aber statt der erwarteten Freude und Begeisterung waren nur Schreie zu hören, so laut und schmerzerfüllt, dass sie jeden im Raum erstarren ließen.

Die anderen versuchten, Leonard aus dem Spiel zu ziehen, aber sie konnten nichts tun. Sein Körper zuckte und krampfte sich, seine Augen unter den VR-Brillengläsern wirbelten wild hin und her. Dann wurden seine Schreie leiser und seine Bewegungen hörten ganz auf.

Leonard war tot. Die Polizei und Sanitäter wurden gerufen, aber niemand konnte sagen, was passiert war. Der VR-Helm und die Sensoren waren von höchster Qualität und wiesen keine Defekte auf. Aber das Spiel, „Abyss“, war verschwunden, als hätte es nie existiert.

Nach dieser Nacht begannen die anderen Mitglieder der Gemeinschaft, merkwürdige Geräusche zu hören. Schreie der Verzweiflung und des Schmerzes hallten durch das verlassene Gebäude, immer dann, wenn sie versuchten zu schlafen. Egal was sie tun, die Schreie hören nicht auf. Die Schreie der Verdammten, eingefangen in einer Welt, die Leonard erschaffen hatte.

War das Spiel noch immer aktiv und rief aus den Tiefen des digitalen Abyss? Oder hatten sie die Schreie in ihren Köpfen, ein Echo von Leonards letztem Moment? Keine Antworten, nur Schattengedanken und ein lauter, unaufhörlicher Schrei, der ihre Ruhe und ihren Verstand raubte.

Sie sind jetzt mehr als nur einer eigenartigen Gemeinschaft von Technik-Nerds. Sie wurden zu Gefangenen, verdammt dazu, die verstörenden Schreie ihres gefallenen Freundes zu hören. Eine endlose Erinnerung an die Folgen, wenn die Grenzen der Realität auf unvorstellbare Weise verschoben werden.

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