jeden Tag eine Geschichte
Nebelgeflüster

Nebelgeflüster

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Es war ein kalter Herbstabend. Die Bäume waren schon fast nackt; die Blätter, die ihnen einst Leben geschenkt hatten, jetzt nur noch tote Überreste ihrer vergangenen Schönheit. Lichter flackerten in den Fenstern der Häuser. Ihre warme Glut ein krasser Kontrast zu der kalten Umgebung. Ein dichter Nebel kroch über die Straßen, jede Ecke, jedes Loch füllend.

Joshua war gerade auf dem Nachhauseweg von seiner Schicht im Kiosk. Seine Augen waren müde, der Kaffee am Nachmittag half kaum noch. Er zog seine Jacke enger um seinen Körper und beschleunigte seine Schritte. Die dichte Suppe, die den Weg vor ihm verschleierte, war gespickt mit gesichtslosen Schatten, die sich bewegten und flüsterten. Eine vertraute Angst kroch über seinen Rücken.

Je weiter er in den Nebel eintauchte, desto lauter wurde das Flüstern. Es kroch in sein Ohr, ein unaufhörliches Murmeln. Unverständliche Laute, die ihn dennoch verfolgten. Wie Schatten, diese flüchtigen Dunkelheiten im Nebel, schien das Flüstern sich nicht von ihm losreißen zu wollen.

Er beschleunigte seine Schritte noch weiter, doch es half nichts. Vielmehr schien es, als ob er tiefer in den Nebel eintauchte, als ob die Welt sich um ihn verdichtete und das Flüstern lauter wurde. Er griff nach seinem Telefon und wählte die Nummer seiner Schwester. Der Anruf ging auf die Mailbox. Panik stieg in ihm auf.

Das Flüstern wurde lauter, aggressiver. Es hallte in seinem Kopf wider, machte seine Gedanken zunichte. Jeder Versuch, die unverständlichen Laute zu ordnen oder ihnen Sinn zu geben, war vergeblich. Das Flüstern überrannte sie alle und hinterließ nur Leere.

Joshua brach in einen Sprint aus. Er konnte seine Wohnung sehen, diese sichere Zuflucht, doch der Nebel schien ihn wie eine unsichtbare Barriere zurückzuhalten. Ein unausweichlicher Alptraum, in dem er gefangen war.

Da wurde das Flüstern zu einem Schrei. Es durchdrang die Luft, durchbohrte seinen Schädel. Er fiel auf die Knie, schrie vor Schmerz, vor Angst. Doch sein Schrei verschwand in dem des Nebels, wurde verschluckt von diesem unaufhörlichen Toben.

Und dann wurde es still. Der Schrei verstummte, das Flüstern verschwand. Nur das hektische Schlagen seines Herzens und das Rauschen des Blutes in seinen Ohren blieb. Der Nebel schien sich aufzulösen, gab den Blick auf seine Wohnung frei. Seine Hände zitterten, als er den Schlüssel ins Schloss steckte und die Tür öffnete.

Er lehnte sich gegen die Tür, atmete tief durch. Sicherheit, Erleichterung breitete sich in ihm aus… und dann hörte er es wieder. Das Flüstern. Es war zurück, doch dieses Mal kam es nicht von außen. Nicht vom Nebel. Es kam aus seinem Inneren, von seinem eigenen Atem.

Vielleicht war der Nebel nie der Ursprung dieses Flüsterns gewesen. Vielleicht war er es immer schon selbst gewesen. Die Quelle dieses unaufhörlichen, endlosen Flüsterns. Das Flüstern, das jetzt in seiner Stille wohnte, das ihn nun für immer begleiten würde.

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