Mit trommelnden Herzen blickte Anna auf den leuchtenden Bildschirm ihres Handys. Es war Mitternacht, die Dunkelheit in ihrem kleinen, aber gemütlichen Apartment war fast völlig, bis auf den schwachen Lichtschein vom Stadtzentrum her draußen. Ihr Smartphone klingelte, der Bildschirm brannte unheimlich blau in der grundlegenden Dunkelheit. ‚Unbekannte Nummer‘, stand dort. Mit zögerlicher Hand griff sie nach dem Gerät, ihr Pulsschlag dröhnte in ihren Ohren.
„Hallo?“, stammelte sie in das kühle Plastik. Nur Stille antwortete ihr, ein dumpfes Rauschen wie das ferne Flüstern eines endlosen Ozeans. „Hallo?“, versuchte sie erneut, lauter diesmal. Ein knacken, dann, eine Stimme.
Es klang wie eine Aufnahme, rau und voll künstlicher Echoeffekte, fast unverständlich und doch merkwürdig familiär. „Kommt… uns finden…“, die Stimme war abgehackt, ein Geisterlamento, das Anna in Mark und Bein erschütterte.
Sie wollte auflegen, wollte das gruselige Spiel beenden, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Die Stimme… sie erinnerte sie an jemanden, jemanden der ihr sehr wichtig war.
Anna’s Verstand versuchte verzweifelt, das Rätsel zu lösen, während die Stimme weiterhin murmelte, dumpfe Drohungen aus einem Grab in ihrem Ohr hinterließ. „Kommt…. uns finden… Emily…
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Emily. Der Name ihrer Schwester, die seit Monaten vermisst wurde. Sie waren Zwillinge, unzertrennliche Seelen in zwei Körpern. Emily’s Verschwinden hatte ein Loch in Anna’s Leben gerissen, das sie nicht zu schließen vermochte.
Tränen bildeten sich in ihren Augen, als die Hoffnung wieder einen Funken in ihrem Herzen entzündete. „Emily, bist du das?“, flüsterte sie, jede Faser ihres Seins auf die Antwort gespannt. Stille. Dann, das gruselige Knacken der Verbindung, der ein sanftes Summen folgte. „Hilfe… uns…finden…“
Die Verbindung brach ab, ließ Anna zitternd und mit durchnässten Wangen zurück. Die Worte hallten in ihrem Kopf nach, ein Geisterflüstern im Dunkeln. Sie wusste, es war unmöglich, aber sie konnte nicht anders. Sie musste nach Emily suchen, musste glauben, dass ihre Schwester noch am Leben war.
Die folgenden Tage und Wochen verwandelten sich in einen Wirbelwind aus Hoffnung und Schrecken. Anna fand Hinweise, bruchstückhafte Beweise, die Emily’s Hand zu zeichnen schienen. Sie fand ihre eigene Wohnung verändert vor, Gegenstände verschwanden und tauchten wieder auf, Zeitungsartikel über Emily’s Verschwinden tauchten in den seltsamsten Orten auf.
Und immer wieder der nächtliche Anruf, die abgehackte Stimme, die geisterhaften Worte. Bis zu jener Nacht, in der der Anruf sie dazu führte, die verborgene Wahrheit zu entdecken.
Eine nächtliche Autofahrt zu einem verlassenen Gehöft auf dem Lande. Ein dunkler Keller voller hypnotischer Symbole, die stumm von Okkultismus erzählten. Eine Aufnahme, Emilys verzweifelte Stimme, von jemandem oder etwas manipuliert. Und schließlich die Wahrheit, grausamer als irgendein Horror.
Emily war nicht vermisst. Sie war tot. Ein Opfer brutaler Gewalt, ihr Tod als abgehackte Stimme aufgenommen, um jemanden dazu zu bringen, ihre verschwundenen Überreste zu finden.
Da stand sie nun, allein und verzweifelt, als das Telefon wieder klingelte. Doch dieses Mal, war es nicht Emily’s Stimme, die sie hörte. Es war ihre eigene, verzweifelte und voller Schrecken. „Hilfe… uns…finden…“
Schweigen senkte sich über das Gehöft, nur gebrochen durch den einsamen Ruf einer Eule. Anna’s Smartphone leuchtete grell in der Dunkelheit, bevor der Bildschirm dunkel wurde.
Wieder allein, mit der schrecklichen Wahrheit und einem Geheimnis, das sie bis ans Ende ihrer Tage verfolgen würde.