Alice tappte durch das Dunkel ihres Apartments, nur das matte bläuliche Leuchten ihres Handys als Lichtquelle. Jäh schoss ein Blitz durch das Fenster und tauchte die schummerige Dunkelheit in ein scharfes Weiß. Alice blinzelte irritiert, nahm dann aber dankbar das kurze Lichtfenster zum Anlass, weiter nach dem verflixten Lichtschalter zu suchen.
Wieder blitzte es, und diesmal wurde das Licht nicht vom Donner gefolgt, sondern von einem gruseligen Kichern. Alice erstarrte. Das Lachen war kindlich, fast verspielt, aber es hatte etwas Dunkles, etwas Gefährliches. Zitternd hob sie ihr Handy höher, um die Ecke des Esszimmers auszuleuchten, von wo das Kichern kam. Ein schmales Kindergespenst mit langen, flussigen Haaren und bläulichen Augen saß da, auf ihrem Esstisch.
Alice riss die Augen auf, wollte schreien, doch die Stille schluckte ihren Schreckensschrei. Starren Blickes sah sie das Kind an, das nun aufhörte zu kichern und mit einer gebieterischen Geste auf das Fenster deutete. Alice folgte dem Finger und schrie auf, als sie draußen den nachtschwarzen Himmel sah, durchzogen von riesigen Blitzen in Form von Rissen.
Der Himmel schien zu zerbersten, jeder Blitz ließ den Riss weiter wachsen. Die Welt draußen schien abzusterben, das Licht durch den Riss wurde heller und unbarmherziger, durchdrang ihre Wohnung und ließ alles um sich herum in Weiß ertrinken.
Alice fiel zu Boden, schlug die Hände vor die Augen, aber das Licht war zu intensiv, zu kalt, zu rein. Es schien ihr das Laufen in den Adern zu gefrieren und sie in die Knie zu zwingen. Mit letzter Kraft sah sie auf und starrte in das gespenstische Lächeln des Mädchens, das voller Vorfreude aussah, bevor auch Alice von dem Licht verschluckt wurde.
Als Alice wieder aufwachte, war ihre Wohnung mit einem reinen, weißen Licht getaucht. Das gespenstische Mädchen war verschwunden, und der Riss im Himmel, nun so groß, dass er den gesamten Himmel einnahm, pulsierte mit einem Beruhigenden Licht. Alice fühlte sich leicht, fast erfüllt, sie spürte keine Kälte mehr, keine Einsamkeit. Nur eine tiefgreifende Ruhe.
Alice lenkte ihren Blick kurz zu der Stelle, wo das Mädchen gesessen hatte und entdeckte etwas Winziges: das zerbrochene Stück einer Lichterkette, die sie letzte Weihnachten an ihrem Fenster platziert hatte. Sie war versucht, es zu ignorieren, versenkt, wie sie war, in der Betrachtung des imposanten und erschreckenden Risses im Himmel. Doch dieses winzige Objekt zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, und sie spürte eine unaufhaltsame Neugier dazu. Sie kniete sich hin und hob das kleine Ding empor. In dem Moment, in dem sie es berührte, pulsierte es und ließ eine Miniaturausgabe des Himmelslichen Risses in ihren Händen aufleuchten. Sie versuchte, es wegzulegen, doch ihre Hand weigerte sich, loszulassen.
Wieder kicherte es aus der Ferne, diesmal freundlich und ausgelassen. Doch zu ihrer Überraschung war es kein gespenstisches Mädchen, das lachte. Es war sie. Alice. Ihr Lachen klang durch die Wohnung, ein schallendes, warmes Lachen, das den Riss im Himmel zum Vibrieren brachte.
Und während Alice da saß, inmitten des Lichts, fing das Stück der Lichterkette in ihren Händen an zu glühen, lebendig und wärmend, und für einen Moment fühlte sie sich nicht mehr alleine. Dann klang ihr Lachen langsam ab und sie sah hoch zum Himmel und erkannte eine neue Welt, in der das Licht brach, ihr aber auch Halt und eine merkwürdige Zugehörigkeit gab. Daraus, aus dem Bruch, war etwas Neues entstanden. Etwas Unbekanntes… doch es fühlte sich trotzdem richtig an.