Die Kälte straffte die Haut. Luft kristallisierte zu funkelnden Partikeln. Der frühe Wintereinbruch hatte Loneton überrascht. Selbst der alte Fischer, Frank, der scheinbar jedes Wetter vorhersagen konnte, war an diesem Abend sprachlos. Schnee fiel dicht auf die kleine Stadt und erfrorene Felder umhüllten das Panorama.
In der Ferne wimmerte das gusseiserne Schild des einzigen Gasthauses im Wind. Luke, der Besitzer, strich über die frostigen Fenster, um einen Blick auf das einsame weiße Wunder zu werfen. Rosafarbenes Licht fiel durch die wirbelnden Schneeflocken auf die eingeschlafene Stadt.
Ein Schatten bewegte sich für einen Augenblick durch den Schneefall. Er war lang, dünn und geschmeidig. Luke verrieb seine Augen, aber der Schatten war verschwunden. Ein leichter Schauer lief über seinen Rücken. Nicht aus Kälte. Eine flüchtige Angst in seinem Bauch, die er nicht erklären konnte.
Nachts, inmitten des eisigen Schweigens, geschahen seltsame Dinge. Wohnhäuser erzitterten unter dem Druck unsichtbarer Gewichte; Keramikschüsseln fielen und zerbrachen, ohne von einer erkennbaren Kraft gestoßen zu werden. Fussstapfen krächzten auf dem Neuschnee, hinterließen aber keine Abdrücke. Menschen im Schlaf wurden von flüsternden Stimmen gestört, die aus den Wänden zu kommen schienen.
Die Stadtbewohner, zunächst noch unwirsch über die störenden Ereignisse, begannen, insgeheim Angst zu entwickeln. Kerzen wurden sich ins Fenster gestellt; Salz wurde an Türschwellen gestreut. Doch trotz ihrer Bemühungen hörten die seltsamen Ereignisse nicht auf. Die Bewohner lagen wach, lauschten auf die gespenstischen Geräusche, die von der winterlichen Kälte getragen wurden.
Luke hatte bemerkt, dass die Schatten inmitten der vorüberziehenden Schneestürme immer zahlreicher wurden. Er konnte ihre Gestalten erkennen, wie sie sich gespenstisch bewegten und in der weißen Stille verschwanden. Eine kalte Furcht tat sich in ihm auf. Waren sie nur das Produkt seiner überanstrengten und angstgeplagten Fantasie oder tatsächlich eine Manifestation der übernatürlichen Ereignisse in der Stadt?
Er ging in die Dunkelheit hinaus. Der Schnee knirschte unter seinen Füßen, und sein Atem gefror fast sofort wieder. Die Stille war schneidend. Die Dunkelheit war jedoch nicht ganz vollständig. Langsam, mit einem Schauer, erkannte Luke, dass er von einem Haufen Schatten umgeben war. Sie waren stumm, still und beobachteten ihn ruhig. Er wagte es nicht, sich zu bewegen oder einen Ton herauszubringen.
Sie schienen ihm nicht Schaden zufügen zu wollen. Sie waren da – stumm, still und kalt wie der erste Frost. Aber aus irgendeinem Grund strahlten sie keine Bedrohung aus. Es waren die Geister des Frostes, eingefrorene Seelen, die ihre letzte Ruhe in der unbarmherzigen Kälte gefunden hatten.
Angst und Respekt erfüllten Luke, als er langsam zurück in die Wärme des Gasthauses trat. Er erklärte den Bewohnern, was er gesehen und gefühlt hatte. Sie hörten ihm gebannt zu. Einige weinten, andere beteten, aber niemand zweifelte an seinen Worten. Ab dieser Nacht lebten sie in stiller Akzeptanz mit den Schatten – den Gespenstern des Frostes.
Und so wandelten sich die unglaublichen Geschichten der winterlichen Geister durch die Jahre, von Generation zu Generation weitergegeben, von Bewohner zu Bewohner. Die Gespenster des Frostes wurden zu einem untrennbaren und akzeptierten Teil von Loneton. Ein Teil von ihnen – winterlich, gespenstisch und dennoch beruhigend in ihrer Präsenz.