Rick und Emma fuhren wie jeden Freitag nach Hause, und wie jeden Freitag nahmen sie den letzten Zug. Doch dieser Freitag sollte anders sein. Anstatt des gewohnten Zugführers saß ein alter Mann auf dem Sitz – vergraben in einem staubigen Mantel, der ebenso alt erschien wie er selbst.
„Nächster Halt: Altenmühle,“ ertönte seine unheimlich tiefe, kratzige Stimme durch das Zuginnere. Rick und Emma sahen sich überrascht an. Altenmühle war eine seit Jahrzehnten verlassene Stadt, niemand fuhr mehr dorthin, schon gar nicht mit dem Zug.
Mit einem lauten Quietschen hielt der Zug an der überwucherten, düsteren Haltestelle. Kein Licht bis auf die schwache Lampe im Zug erhellte die Szenerie. Der alte Mann stand auf und ging zur Tür. „Alle aussteigen,“ raunte er in einer so totenstillen Stimme, dass es Rick und Emma einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
„Wir sind aber nicht die…,“ begann Rick, doch der Mann unterbrach ihn mit einer schnellen, schneidenden Geste der Hand. „Alle aussteigen. Jetzt.“ Sie zögerten, doch die düstere Ernsthaftigkeit in den Augen des alten Mannes ließ keinen Widerspruch zu.
Als sie auf das verlassene Bahnhofsgelände traten, fühlten sie einen eisigen Wind, der sie durch den desolaten Ort trieb. Geisterhafte Gradlager, verfallene Gebäude und zerbrochene Fensterscheiben sorgten für eine gruselige Atmosphäre und ihre Schritte hallten besorgniserregend in der stillen Nacht.
Sie spürten ein unheimliches Prickeln in der Luft, und sie konnten nicht sagen, ob es die eisige Kälte oder ein Grausen vor diesem mysteriösen Ort war. Dann hörte Rick ein leises, ängstliches Schluchzen hinter ihm. Er drehte sich um und sah Emma, die auf einen alten, verfallenen Brunnen starrte.
Im Mondlicht glitzernd erhob sich ein transparenter, schwach schimmernder Zug, komplett mit Passagieren, aus dem Brunnen. Sie beobachteten gespenstische Passagiere, die aussteigen und sich scheinbar auf dem Bahnhofsareal verteilen. Ein kalter Schauer lief Rick und Emma über den Rücken. Sie verstanden nicht, was sie sahen, doch sie konnten ihre Augen nicht von dem Anblick abwenden – vom Geisterzug und seinen Fahrgästen.
Plötzlich bemerkten sie eine Bewegung zu ihrer Linken. Der alte Mann stand dort im Dunkeln, seinen Mantel fest um sich gezogen, und zeigte mit einem knöchernen Finger auf den Zug. Seine Stimme klang noch krächzender als zuvor. „Geht jetzt! Lauft weg! Geht, bevor sie euch sehen!“
Bevor sie etwas erwidern konnten, war der alte Mann verschwunden, so schnell und spurlos, wie er aufgetaucht war. Mit wachsender Panik stießen Rick und Emma einen Schrei aus und rannten los, ohne sich umzusehen. Ihre Füße brachten sie automatisch zur nächsten Stadt, wo sie in einem Hotelzimmer Schutz suchten. Den Geisterzug und Altenmühle ließen sie weit hinter sich.
Bis heute rätseln Rick und Emma über diese unheimliche Nacht und den mysteriösen Geisterzug. Sie erzählen die Geschichte niemandem – aus Angst, niemand würde ihnen glauben oder sie könnten die Geister aus Altenmühle erneut auf sich aufmerksam machen. Trotzdem können sie die Erinnerungen an diese Nacht nicht abschütteln und sie fragen sich immer wieder, wer war der alte Mann und was war seine Verbindung zu dem Geisterzug? Warum hatte er sie warnen wollen und wer waren die Geister in dem Zug wirklich?