Es war ein ganz normaler Tag, als Louis in sein neues Zuhause zog, ein altes viktorianisches Haus, das er für einen erstaunlich geringen Preis erworben hatte. Ziemlich abgenutzt und staubig, hatte es dennoch eine gewisse Präsenz, ein gewisses Aura, die Louis in seinen Bann zog. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages fielen durch die Buntglasfenster und tauchten das Innere in ein kaleidoskopisches Lichtermeer. „Ein Haus mit Charakter“, dachte er und stellte seine Kisten in die Ecke.
In den ersten Nächten war es still, so wie es in einer normalen Nacht sein sollte. Doch als der Neumond einsetzte, hörte Louis ein schwaches Flüstern, das aus den Tiefen des Hauses zu kommen schien. Erster Schock: es waren leise Kinderstimmen. Er schüttelte den Kopf, dachte es sei nur seine Fantasie, geschürt von der Stille und Dunkelheit des Hauses. Doch als das Flüstern mit jeder anbrechenden Dunkelheit lauter und lauter wurde, konnte Louis es nicht mehr ignorieren. Er erhob sich aus dem Bett und folgte dem Gesang wie ein verzauberter Seemann den Sirenen.
Er fand sich auf dem Dachboden wieder, umgeben von alten Fotos und Spielzeugen, die von den früheren Bewohnern des Hauses zurückgelassen wurden. Das Flüstern schien aus einer altmodischen Spieluhr zu kommen. Lautlos stand er da und lauschte, als die Melodie die Worte deutlicher machte:
„Louis, geh zurück, wenn du kannst… geh zurück, und sieh dich nicht um…“
Die Stimme schien voller Trauer und Angst zu sein, doch was Louis aufhorchen ließ, war der Tonfall – es lockte und warnte zugleich. Eine Stimme aus dem Jenseits, die ihn anlockte und warnte. Doch warnte wovor? Und warum konnte nur er sie hören?
Tage und Nächte vergingen und Louis wurde mehr und mehr zum Gefangenen seiner eigenen Neugier und Faszination. Das Flüstern lenkte ihn ab, hielt ihn nachts wach und beunruhigte ihn während des Tages. Freunde, die er in die Einöde eingeladen hatte, berichteten nichts von Flüstern oder irgendetwas Seltsamem. Sie kommentierten sein neues Zuhause positiv und lobten die Qualität des alten Hauses. Louis war allein mit seinen Stimmen. Eigentlich gewöhnlich aussehenden, ziemlich groben, alten Mauern steckten so viele Geheimnisse…
Eines Nachts, in einem Anflug von Frustration und Verzweifelung, brach er die Spieluhr auf. Ein Schrei hallte durch das stille Haus, und dann herrschte Stille. Die Flüstern, die Kinderstimmen, das Warnen – alles war weg. Doch Louis fühlte eine unbeschreibliche Kälte seinen Rücken hinauf kriechen und die Präsenz, die ihm einst bezaubernd schien, wurde schrecklich und erdrückend. Er flüchtete aus dem Haus in die Nacht hinein und nie wieder ging er zurück, um seine Sachen zu holen.
Der Hüter der Stadtakten berichtete ihm später, dass das Haus ein Waisenhaus im späten 19. Jahrhundert war, wo viele Kinder unter tragischen und unerklärlichen Umständen verschwunden sind. „Die Kinder stimmen“, flüsterte er, „sie versuchen immer noch, jemanden zu warnen, jemanden zu retten…“
Jedoch war Louis bereits gerettet. Er hörte die Worte des Hüters, aber er sah sich nicht um. Er lief nur weg, fort von den Geistern seiner Vergangenheit, fort von dem in Flüstern verhüllten Grauen.