jeden Tag eine Geschichte
Die Unruhigen

Die Unruhigen

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Die Stadt war still. Zu still für Sam’s Geschmack, der als Techniker für die Kommunikationszentrale der Stadt arbeitete. Nicht, dass er Menschenmengen mochte. Er liebte die Ruhe, die Einfachheit eines einsamen Lebens. Aber diese Stille… es war, als ob die Stadt den Atem angehalten hätte.

Tagelang gab es keine Präsenz im Netz, keine Anrufe, keine Nachrichten, kein Flüstern. Selbst das Summen der Server schien verstummt. Er wusste, dass etwas schief lief, aber was, das war ihm ein Rätsel. Die Straßen waren unbelebt, fast wie eine moderne Geisterstadt. Es war beängstigend.

Sam durchquerte die Stadt auf dem Weg nach Hause, seine Schritte schnell und bestimmt. Ein beunruhigender Wind strich durch die verlassenen Straßen, Vorhänge in fensterlosen Wohnungen erglühten spöttisch. Ein Kälteschauer erfasste ihn, doch er zwang sich ruhig zu bleiben. Er erreichte sein Haus, verriegelte die Türen und schloss sämtliche Jalousien. Beim Einschalten des Computers leuchtete der Monitor auf und tauchte das Zimmer in ein kaltes Licht. Er wartete auf irgendein Zeichen des Lebens, sei es eine E-Mail oder eine Nachricht. Stille.

Plötzlich vernahm er ein Geräusch aus seiner Küche. Ein dumpfes Klopfen, das immer lauter wurde, bis es sich anhörte, als ob jemand mit aller Kraft gegen die Tür hämmerte. Kälte zog sich seinen Rücken herunter, seine Hände zitterten, als er aufstand und zur Küche schlich. An der Tür prangten zwei leuchtend weiße Symbole, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Noch bevor er sie berühren konnte, verschwanden sie. Ein Rufen war zu hören, als käme es aus weiter Ferne. Namenloser Schrecken ergriff ihn. Plötzlich wurde das Klopfen wieder lauter, ferventer. Das Ganze Haus begann zu vibrieren.

Das Rufen verstummte. Sam fiel auf die Knie, gedämpft vom dumpfen Klang seines eigenen Herzschlags. Ein ohrenbetäubender Knall, dann Stille.

Als Sam endlich seine Augen öffnete, sah er sich um. Sein Haus war intakt, nichts verändert. Aber als er aus dem Fenster sah, sah er, dass seine Nachbarn an ihren Fenstern standen und ihn anstarrten. Ihre Gesichter waren lichterloh, ihre Augen weit aufgerissen. Sie lächelten, aber es war kein fröhliches Lächeln. Es war, als ob sie eine maschinelle Reaktion nachahmten, ihre Miene kalt und leer.

Er trat vor seine Haustür und stellte fest: Die Straßen waren wieder belebt. Menschen gingen hin und her, lächelten mechanisch, nickten bei der Begrüßung. Aber ihre Augen… ihre Augen waren leer. Kein Leben, keine Seele, nur Hüllen, die ihrer selbst beraubt waren.

Sie winkten ihm zu, doch ihre Bewegungen waren mechanisch, berechnet. Sie waren nicht mehr sie selbst. Sie waren die Unruhigen.

Er trat zurück in sein Haus und schloss die Tür ab. Er sah zu, wie die Schatten Groteske Gestalten an seiner Wand formten. Er saß dort; starrte auf seinen leeren Bildschirm, wartete auf eine Nachricht, die nie kommen würde. Und während er durch die stille Stadt blickte, berührte ihn eine kalte, hoffnungslose Erkenntnis. Das Internet, das Herz der modernen Kommunikation, war schwach geworden und er war allein. In einer Stadt voller Menschen, gebannt und gefangen, war er der Letzte seiner Art. Und in der Stille spürte er die Millionen von leeren, leblosen Augen, die auf ihn gerichtet waren.

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