Alice betrat das verlassene Anwesen, ihre Kamera in der Hand, ihre Fingerspitzen kribbelnd vor Aufregung. Als junge Influencerin war sie stets auf der Suche nach dem ultimativen Kick, dem einen Video, das ihre Followerzahl zum Explodieren bringen würde. Ein Schauer huschte über ihren Rücken, als sie den kalten Steinhallen entlangschritt, den Räumen, in denen vor Jahren eine Familie auf mysteriöse Weise verschwunden war.
Flackerndes Licht drang durch die zerschmetterten Fenster und tanzte über den abgenutzten Boden. Es war still, bis auf das Knacken alter Holzbalken und das Flüstern des Windes. Alice schwenkte ihre Kamera durch die Gegend und begann, in ihr Handy zu sprechen, eine flüsternde Erzählung für ihre Zuschauer. Sie konnte die Einsamkeit und Dunkelheit fast schmecken.
Alice begann, seltsame Geräusche zu hören. Ein Flüstern, das von innen zu kommen schien. Es waren nicht die Windgeräusche, die sie zuvor gehört hatte. Dieses Flüstern war anders, es hatte einen Rhythmus, eine Melodie in sich. Mit jedem Schritt, den sie in die Tiefe des Anwesens machte, wurde es lauter und deutlicher.
Dann hörte sie es. Es war klar, unausweichlich. „Geh weg, Alice.“ Die Worte waren leise, aber sie vibrierten mit einer Intensität, die sie bis ins Mark traf. Sie stockte, der Atem stockte ihr in der Kehle, das Blut rauschte in ihren Ohren. War es eine Warnung? Oder eine Drohung? Sie schüttelte den Kopf und versuchte, den Mut zusammenzusammeln. Es muss ihre Fantasie sein, dachte sie.
Aber dann hörte sie es wieder. Lauter diesmal. Ungeduldig. „Geh weg, Alice“. Sie konnte jetzt die Verzweiflung in der Stimme hören, den dünnen Faden des Schmerzes. Sie sah sich um, die Dunkelheit fühlte sich erdrückend an. Aber sie konnte niemanden sehen, es gab keine Spur von jemandem. Sie hielt die Kamera höher, ihr Atem unruhig. Ein kalter Schrecken fuhr ihr den Rücken hinunter.
Alice stolperte rückwärts, ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Sie rannte, verließ das Anwesen. Als sie in ihrem Auto saß, zitterten ihre Hände so stark, dass sie Mühe hatte, den Schlüssel in das Zündschloss zu stecken. Sie warf einen letzten Blick auf das Haus, bevor sie den Wagen startete und wegfuhr.
Zuhause angekommen, warf sie sich auf ihr Bett und starrte an die Decke, während sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Sie erinnerte sich an die Stimme, die sie gewarnt hatte, die sie aus dem Haus gewiesen hatte. Wem gehörte diese Stimme? War es der Geist der verschwundenen Familie? Oder war es etwas Dunkleres?
Mit einem mulmigen Gefühl im Magen setzte sie ihre Kopfhörer auf und begann, das Video zu überprüfen. Als sie etwa in der Mitte des Videos ankam, hörte sie es wieder. „Geh weg, Alice“. Aber diesmal konnte sie sehen, was sie in dem Anwesen verpasst hatte. Im Hintergrund, gerade so im Rahmen der Kamera, sah sie eine Gestalt, dunkel und verschwommen, sie beobachten. Sie legte ihre Hand vor den Mund, ihre Augen weiteten sich in Furcht. Sie wurde beobachtet.
Das Flüstern war eine Warnung, kein Schrecken. Eine Warnung, die sie ignoriert hatte. Eine, die sie bezahlt hätte, wenn sie länger geblieben wäre. Die Mauern hatten sie gewarnt. Aber wovor hatten sie sie gewarnt? Und was wäre passiert, wenn sie nicht gegangen wäre? Die Fragen würden sie in der Dunkelheit der Nacht verfolgen.