Es war ein ganz normaler Sommertag, als Max seinen Kumpel Jonas am Strand traf. Sie hatten beschlossen, das neue Surfboard von Max auszuprobieren. Kaum war es im Wasser, ritt Max auf den Wellen wie ein Profi. Jonas saß am Ufer und bewunderte die gekonnten Bewegungen seines Freundes.
Plötzlich erregte eine eigenartige Melodie Jonas‘ Aufmerksamkeit. Es klang wie ein klagender, sirenenhafter Gesang, der aus der Tiefe des Ozeans zu kommen schien. Jonas spitzte seine Ohren, den Blick auf das unendliche Blau des Meeres gerichtet. Konnte er sich das eingebildet haben?
Jonas rief Max zu, doch dieser schien ihn nicht zu hören, und surfte weiter hinaus in die See. Jonas stand da, das Gefühl der Unruhe in seinen Knochen wachsend.
Plötzlich brach der Gesang ab. Jonas sah, wie Max mitten in der Welle verschwand, nur das Surfboard trieb leer auf der Meeresoberfläche. Jonas stürzte ins Wasser, schrie Max‘ Namen, suchte verzweifelt nach ihm, doch es gab keine Antwort.
Nach Stunden völliger Verzweiflung und quälender Suche, sahen Jonas und die Rettungsschwimmer nur noch Max‘ verlassenes Surfboard, das traurig auf den Wellen tanzte. Max war weg, verschlungen vom Ozean. Die Nacht kam und mit ihr eine schreckliche Leere.
Die Tage vergingen und trotz ausgedehnter Suche konnte niemand Max finden. Aber Jonas konnte den Gesang, den er am Strand gehört hatte, nicht vergessen. Jede Nacht träumte er davon, und jeden Morgen stand er früh auf, um am Strand nach Spuren von Max zu suchen.
Eines Morgens lief Jonas alleine am desolaten Strand. Der Himmel war bleigrau, die Wellen schlugen mit brachialer Kraft auf das harte Land. Und dann hörte er es wieder: Der geheimnisvolle Gesang, traurig und eindringlich, wie eine urzeitliche Mahnung, die vom tiefsten Punkt des Meeres aufstieg.
Die Melodie schien Jonas in seinen Bann zu ziehen. Er lief ins Wasser, obwohl er die Kälte der Fluten spürte, die ihm bis an die Taille reichten. Er sah aufs Meer hinaus, wo er das Gesicht eines Jungen unter den Wellen erkannte. Es war Max, sein Blick leer, aber er schien Jonas zu sehen.
„Komm zu mir“, flüsterte die Stimme mit der Melodie des Meeres. Jonas wollte zurückweichen, aber seine Beine gehorchten ihm nicht. Er ging weiter hinaus ins Wasser, die eisigen Wellen schlugen gegen seine Brust. Die Melodie wurde lauter, rief ihn, lockte ihn immer tiefer ins Meer hinaus.
Und dann war Jonas fort, genauso plötzlich und spurlos wie Max. Seit diesem Tag lädt das Meer mit seiner geheimnisvollen Melodie die Menschen ein, seine Tiefe zu teilen. Niemand wagt es, diese Warnung zu ignorieren. Aber wenn der Ruf des Ozeans ertönt, ist es schon zu spät.