Als Nina das alte Haus ihrer Großmutter erbte, hatte sie nicht mit all den Geheimnissen gerechnet, die es barg. Es war einsam gelegen, am Rande eines verwunschen wirkenden Waldes. Selbst in der Mittagssonne warf es düstere Schatten, die den leicht verwitterten Putz an der Fassade verhüllten. Ihre Großmutter hatte nicht viel hinterlassen, abgesehen von unzähligen Kisten voller alter Bücher und Briefe im Keller.
Der Keller selbst war ein Ort des Unbehagens. Eine stickige, kalte Luft empfing sie immer wieder, wenn sie die knarzende Holztreppe hinabstieg. In einer Ecke stand ein alter, dunkler Schrank, den ihre Großmutter als „den Schrank der Flüsterer“ bezeichnet hatte.
Trotz der merkwürdigen Bezeichnung öffnete Nina den Schrank und war überrascht, eine Sammlung alter Tonbandaufnahmen vorzufinden. Alte Tonbänder in düsteren Hüllen. Eines der Tonbänder trug die Aufschrift „Spiel mich ab“. Fasziniert und gleichzeitig ängstlich entschied Nina, dem Befehl zu folgen.
Nachdem sie einen alten Tonbandspieler gefunden und das Band eingelegt hatte, erfüllte ein tiefes, gruseliges Flüstern den Raum. Die Worte schienen aus einer anderen Welt zu kommen, sie waren kaum verständlich und doch spürte sie ein seltsames Ziehen in ihrem Inneren, wenn sie lauschte.
Nina recherchierte tagelang, übersetzte die grotesken, fast unverständlichen Worte und entdeckte schließlich, dass es sich bei den Flüsterern um eine geheime Gesellschaft handelte, die vor Jahrhunderten in ihrer Heimatstadt herrschte. Sie führten bizarre und brutale Rituale durch, in deren Mittelpunkt immer der Tod stand.
Die Stimmen auf dem Tonband gehörten den verstorbenen Mitgliedern der Gesellschaft, die den Keller ihres Großmutterhauses als Versammlungsstätte genutzt hatten. Nina hatte das Gefühl, dass die Rituale noch immer in dem alten Keller durchgeführt wurden. Sie konnte das Flüstern hören, sogar wenn das Tonband nicht spielte, und fühlte eine immer stärker werdende Präsenz in diesem Raum.
In einer schrecklichen Nacht, als das Flüstern fast zu einem Schrei geworden war, runzelte sich der Kellerboden unter ihren Füßen und gab den Blick auf ein Gemäuer aus menschlichen Knochen frei. Entsetzt erkannte sie, dass die Flüsterer ihre Toten nicht begruben, sondern sie in die Wände des Kellers einmauerten, um ihre Präsenz für immer zu bewahren.
Vollkommen in Panik versuchte Nina zu fliehen, doch das Haus ließ sie nicht gehen. Die Türen waren plötzlich wie verriegelt, die Fenster ließen sich nicht öffnen. Aus den Wänden drangen die flüsternden Stimmen der Toten immer lauter zu ihr durch, und der Kellerboden erzitterte erneut, als ob er bereit wäre, weitere Geister zu entlassen.
Vor purem Entsetzen ohnmächtig geworden, wachte Nina im Keller auf. Der Boden war wieder intakt, die Stimmen in den Wänden verstummt. Aber das Entsetzen über das Erlittene war noch immer greifbar. Nina konnte das Haus letztendlich verlassen, doch die flüsternden Stimmen ließen sie nie los. Obwohl der Keller ruhig und verlassen blieb, konnte sie das Flüstern immer noch hören – in ihren Träumen, in stillen Momenten, mitten in der Nacht…
Es schien, als hätten die Flüsterer ein neues Heim in ihrem Geist gefunden. Ninas Leben ist seitdem nicht mehr dasselbe. Sie hat das Erbe ihrer Großmutter angenommen und trägt es nun mit sich herum. Der Keller der Flüsterer existiert in ihrer Gedankenwelt weiter und niemand kann sagen, wie lange die Stimmen der Vergangenheit noch durch ihr Leben wehen werden.