jeden Tag eine Geschichte
Das Portal im Keller

Das Portal im Keller

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Lucas‘ Umzug in das alte Herrschaftshaus seiner Urgroßmutter war nichts, was er sich je erträumt hätte. Vergilbter Putz und knarrende Dielen gaben ihm von Anfang an eine unbehagliche Atmosphäre. In seinen ersten Nächten verfolgten ihn seltsame Geräusche durch das ganze Haus, sie schienen von ganz tief unten zu kommen.

An einem verregneten Nachmittag entschied er, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Mit Nichts als einer Taschenlampe bewaffnet, machte er sich auf den Weg in den stockdunklen Keller. Eine feuchtkalte Luft und der modrige Geruch von verrottetem Holz und Schimmel empfing ihn. Am hinteren Ende des Kellers stieß Lucas auf etwas Bizarres – eine ehrfurchtgebietende, marmorne Tür mit seltsamen Einkerbungen stand dort, scheinbar fehl am Platz. Sie passte nicht ins übrige Bild des maroden Hauses und sah aus wie das Portal zu einer anderen Welt.

Mit zitternden Händen griff er nach dem kalten Metallgriff und zog. Nichts geschah. Er versuchte es erneut, dieses Mal mit aller Kraft. Die Tür öffnete sich mit einem lauten, markerschütternden Quietschen und gab den Blick auf eine beklemmende Dunkelheit frei.

Und dann sah Lucas sie. Seine Taschenlampe beleuchtete eine grauenvolle Kreatur, bekleidet mit Lumpen und mit flackernden Augen. Sie sah aus wie eine verzerrte Version eines Menschen. Die Gestalt hob den Kopf und stöhnte mit einer Stimme, die wie das Heulen des Windes klang. Lucas starrte entsetzt auf das Wesen, doch anstatt Angst, fühlte er eine seltsame Art von Mitleid.

Bevor er reagieren konnte, erreichte die Kreatur nach ihm und berührte seine Hand. Ein starker elektrischer Schlag durchfuhr ihn und sein Bewusstsein verschwamm. Als er wieder zu sich kam, fand er sich allein in dem dreckigen Keller wieder. Die Tür war verschwunden, genauso wie die Kreatur. Alles, was blieb, war ein metallischer Nachgeschmack und ein brennendes, unangenehmes Gefühl in seiner Hand.

Die Wochen vergingen und das Leben in dem alten Haus wurde irgendwie normal. Die Geräusche blieben, die Tür hingegen war unwiderruflich verschwunden. Doch jedes Mal, wenn er den Keller betrat, überkam ihn ein eisiges Zittern und sein Herzschlag beschleunigte sich. Seine Hand schmerzte und zeigte Narben, als ob sie verbrannt worden wäre. Trotzdem konnte er nicht aufhören, an die groteske Kreatur zu denken und daran, was sie wohl sein könnte.

Die alte Dame von gegenüber erzählte ihm schlussendlich die Geschichte des Hauses. Es gehörte einst einem Okkultisten, der angeblich ein Portal zu einer anderen Dimension erschaffen hatte. Er verschwand spurlos, doch Gerüchte besagten, er lebe noch in jener Dimension als monströse Kreatur, gefangen in seinem eigenen Experiment.

Obwohl es wie ein Märchen klang, gab ihm die Geschichte ein seltsames Gefühl von Verständnis und Horror. Hatte Lucas eine Begegnung mit dieser grotesken Kreatur, dem ehemaligen Bewohner seines neuen Zuhauses? Er schlief nie wieder ruhig und das Brennen in seiner Hand blieb, genau wie der metallische Nachgeschmack und die Stimme der Kreatur, die in seinen Albträumen widerhallte.

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