Die letzten Umzugskisten waren endlich ausgepackt. Der Umzug in das alte Herrenhaus außerhalb der Stadt hatte Amanda und ihren Bruder Charlie viel Kraft gekostet. Sie waren nach dem Tod ihrer Eltern in das Familienanwesen gezogen. Eine unergründliche Melancholie lag in den Wänden des alten Hauses, die dunklen Räume schienen von den Geheimnissen früherer Generationen zu flüstern.
Nach dem Abendessen entdeckte Charlie eine Treppe, die hinab in einen Keller führte. „Wir sollten uns das ansehen“, schlug er vor. Mandys Bauchgefühl warnte sie jedoch, doch sie konnte ihrem Bruder nichts abschlagen. Mit einer Taschenlampe bewaffnet stiegen sie die knarrenden Stufen hinab.
Der Keller war feucht und dunkel. Während Charlie die Taschenlampe durch den Raum strahlte, entdeckte er eine alte Truhe in der Ecke. „Was hätte Vater da wohl versteckt?“, fragte er kichernd und lief darauf zu. Amanda folgte ihm widerwillig, der klamme Geruch von Moder kroch ihr in die Nase. Als Charlie die Truhe öffnete, fiel Amanda ein alter, lederner Schlüssel in die Hände. Er war schwer und kalt, mit sonderbaren Symbolen graviert.
Einen Moment später entdeckte sie neben der Truhe eine schwere Holztür, die in der Dunkelheit fast unsichtbar gewesen wäre. Aufgeregt drückte sie den Schlüssel in das altmodische Schloss und drehte. Die Tür knarrte und schwang langsam auf, dunkle Kälte schlängelte sich um ihre Beine. Vor ihnen erstreckte sich ein langer, schmaler Gang, der noch tiefer in das Dunkel führte.
Verängstigt, aber getrieben von Neugier, schlichen sie hinein. Amanda fühlte ihre Gedanken rasen, ihre Sinnlichkeit schien zu schärfen. Sie konnte den dunklen Weg riechen; faulig und erdig. Ein eisiges Prickeln kroch ihren Rücken hinauf, als ob sie von Hunderten von Augen beobachtet würde.
Ihr Bruder schien unbeeindruckt, er ging voran und ließ das Licht der Taschenlampe die Dunkelheit durchdringen. Plötzlich veränderte sein Gesichtsausdruck. „Mandy, sieh dir das an!“ Seine Stimme war ernst. Was sie dann sahen, ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren.
Der Weg endete in einer riesigen Halle. In der Mitte stand ein steinerner Altar und ringsherum lagerten Dutzende menschlicher Skelette, fein säuberlich aufgebaut und in merkwürdigen Positionen angeordnet. An den Wänden hingen Ritzungen und Symbole, in der Dunkelheit leuchtend wie frisches Blut.
Plötzlich erlosch das Licht der Taschenlampe und Amanda spürte eine unsichtbare Präsenz. In ihrem Kopf hallten Worte wider, die keine Sprache zu sein schienen, die sie kannte, und eine Kälte durchzog ihren Körper, die tiefer ging als Knochen und Mark.
Als das Licht der Taschenlampe endlich wieder aufflammte, stand Amanda mit Charlie alleine in der Halle, die Präsenz verschwunden. Aber auf dem Altar, wo zuvor nur Stein gewesen war, lag jetzt der alte, lederne Schlüssel, den Amanda zuvor in ihren Händen gehalten hatte.
Atemlos verließen sie die Halle, verschlossen die Tür und rannten die Treppen hinauf. Auch wenn sie beide ungesagt wussten, dass sie nicht mehr in den Keller gehen würden, war das Grauen endgültig in ihrem neuen Zuhause angekommen. Und wer wusste schon, was sie wirklich im Keller freigesetzt hatten? Nichts würde je wieder so sein wie vorher. Das Grauen im Keller hat sie für immer verändert.