jeden Tag eine Geschichte
Dämmerung der Geister

Dämmerung der Geister

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Melissa war gerade dabei, ihre Umzugskisten in ihrem neuen Apartment abzustellen, als sie durch die Fenster den ersten Sonnenuntergang in ihrer neuen Heimatstadt betrachtete. Die warmen, orangefarbenen Strahlen der Sonne illuminieren die gesamte Wohnung. Es war ruhig, zu ruhig. Sie fühlte eine seltsame Stille, die sie zum Schaudern brachte. Aber sie schüttelte den Gedanken ab und beschloss, sich mit der neuen Umgebung vertraut zu machen.

Einige Tage vergingen reibungslos, bis sie begann, merkwürdige Ereignisse zu bemerken. Gegenstände bewegten sich selbständig, Türen öffneten und schlossen sich wie von Geisterhand. In der Luft hing ein unerklärlicher kalter Hauch, der durch ihre Haut bis in die Knochen zu kriechen schien. Jeden Abend zur Dämmerungszeit, wenn der letzte Lichtstrahl der Sonne verschwand, wurden die Ereignisse intensiver – unaufhaltbar, unerklärlich.

Melissa entschied, die Ursache herauszufinden. Sie stieß auf die düstere Geschichte des Apartmentkomplexes. Wo nun der Apartmentkomplex stand, gab es einst einen alten Friedhof, welcher ungeachtet der Wünsche und Warnungen der Altvorderen abgerissen wurde. Auf unheilige Weise entweiht und unter Asphalt begraben, begannen die toten Seelen, sich zu manifestieren und Rache für ihre Störung zu suchen.

Mit jedem Sonnenuntergang, wenn die Dunkelheit die Stadt umhüllt, wurde ihre Wohnung zum Spielplatz der ruhelosen Geister. Sie konnte sie nicht sehen, aber sie konnte ihre Anwesenheit spüren, kalte Finger, die ihre Schulter streiften, flüsternde Stimmen, die ihren Namen nannten, Schatten, die aus dem Augenwinkel hervor huschten.

Die Nächte wurden endlos und erschöpfend für Melissa. Obwohl sie zutiefst verängstigt war, entschied sie, sich nicht von den Geistern vertreiben zu lassen. Sie begann, Rituale und Seancen abzuhalten, Wächterfiguren und Schutzamulette in der Wohnung zu verteilen, um die Geister in Schach zu halten. Trotz ihrer Anstrengungen wurde die Aktivität der Geister nur stärker.

Eines Abends, als sie alleine in der Wohnung saß, fühlte sie eine Kälte, tiefer und intensiver als alles, was sie zuvor gespürt hatte. Sie spürte eine Hand, kalt wie Eis, an ihrem Hals und eine dunkle, grollende Stimme flüsterte: „Geh! Wirst Du nicht gehen, wirst Du einer von uns.“ Tief verängstigt lehnte sie sich gegen die Wand, unfähig sich zu bewegen.

Sie konnte der Präsenz nicht entkommen. Sie war in ihrer Wohnung eingeschlossen, gefangen mit den Geistern, die sie in ihrer ständigen Dämmerung gefangen hielten. Trotz ihrer Angst und zunehmenden Erschöpfung kämpfte Melissa weiter gegen die Geister dieser Wohnung, die nichts anderes wollten, als ihren Frieden wiederzuerlangen.

Ob Melissa jemals den Kampf gegen die Geister gewinnen und ihren Frieden finden kann, bleibt ein Mysterium. Jeden Tag bei Sonnenuntergang, wenn die Dunkelheit die Stadt umhüllt, beginnt die Dämmerung der Geister erneut. Und so geht das Schauspiel unendlich weiter, das an der Grenze zwischen unserer Welt und der Welt jenseits der Dunkelheit existiert, eingefangen im ewigen Zwielicht des Sonnenuntergangs.

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