jeden Tag eine Geschichte
Nacht ohne Wiederkehr

Nacht ohne Wiederkehr

3

Als Jenna sich ihren Kaffee einschenkte, knackte ihr Küchenradio zur Leben, das Glockenspiel des Stundensignals erklingend. Mitternacht. Sie ließ ihre müden Augen kurz über den digitalen Alarm auf ihrem Handy wandern, der ihr dasselbe bestätigte. Sie trank den heißen, bitteren Kaffee starr blickend aus, während das Radio in der Nachtsendung langsame Jazzmusik abspielte.

Ein leichtes Stöhnen. Ein Rascheln. Dann Stille. Sie stellte den leeren Kaffeepott in die Spüle und griff nach dem abgegriffenen, schlichten Schlüssel auf der Theke. Mit einem letzten Blick auf ihre immer noch dunkle Wohnung, öffnete sie die Haustür und trat in den dunklen, kühlen Flur des Wohnkomplexes.

Das Stöhnen war lauter, diesmal wie ein Keuchen. Ein kalter Schauer lief Jenna über den Rücken und sie konnte nicht anders, als ihr Handy aufzublenden, um den dunklen Flur besser zu überblicken. Nichts. Leise murmelnd beschloss sie, den Fahrstuhl zu benutzen, obwohl sie normalerweise die Treppen nutzte.

Die Tür des Fahrstuhls öffnete sich mit einem leisen Piepton und sie trat ein. Während sie die Eingabeschaltfläche für ihre Etage berührte, waren ihr die seltsamen Vorkommnisse nahezu entfallen und sie streckte sich aus, um den nur kurzen Weg zu ihrer Wohnung zu schaffen.

Jenna schloss die Wohnungstür hinter sich und betrat das dunkle und kalte Wohnzimmer. Das Keuchen erklang wieder, schrill und angstvoll. Ihr Herz pochte wild und sie griff automatich nach dem nächstbesten Gegenstand – einem alten Baseballschläger, der seit ihrem letzten Umzug neben der Tür lag.

Als sie den Lichtschalter drückte, durchzuckte sie ein ungeahnter Schrecken, der sich in ihren Adern ausbreitete. Mitten in ihrem Wohnzimmer, auf ihrer Couch, saß eine fremde Gestalt. Dunkle, flackernde Augen schauten sie angsterfüllt an und der schrille Ton stammte von dem Eindringling.

Sie stammelte einen schrillen Laut, der eher einem verängstigten Tier als einem Menschen glich. Ihre Fingerspitzen brannten, sie drückte den Schläger so fest, dass ihre Knöchel sich weiß gegen die Haut abzeichneten. Die Gestalt auf der Couch hob langsam ihre Hände, als fremde Worte in einer unverständlichen Sprache ihre Lippen verließen.

Sie wagte es, näher zu treten. Dabei realisierte sie, dass die Gestalt keine düsteren schrecklichen Augen hatte, sondern Tränen, die das Licht in der Nacht reflektierten. Das Wesen war, wie sie erkennen konnte, ein verängstigtes Mädchen im Teenageralter. Sie weinte und stammelte Worte in einer Sprache, die Jenna nicht verstand.

Mit einem Mal wurde Jenna klar, dass das Mädchen mehr Angst hatte als sie selbst. Die Kontrolle wiedergewinnend, näherte sie sich weiter und versuchte beruhigende Worte zu murmeln. Aber das Mädchen reagierte nicht. Es zeigte immer intensivere Anzeichen von Panik und Furcht, sein Atmen wurde unregelmäßiger und dann… es hörte auf zu atmen.

Jenna versuchte alles, um das Mädchen zu retten, doch vergebens. Auf ihrer Wohnzimmercouch saß nun der stumme Zeuge einer Nacht ohne Wiederkehr. Irgendwo in der Ferne erklingten erneut die Glocken, manövrierend für eine weitere Mitternacht, aber für Jenna würde diese Nacht niemals vergehen, denn in ihrem Herzen hatte sie das Mädchen verloren, das nie hätte da sein sollen.

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