Es war eine Nacht wie jede andere. Die Sterne funkelten am dunklen Firmament und der Vollmond reflektierte den sanften Schein der weit entfernten Sonne. Alles war in himmlischer Ruhe getaucht, bis auf die Vorstadtsiedlung, in der noch eine Seele wach war.
Die 16-jährige Lisa lag wach in ihrem Bett, ihr Blick haftete an der Neonuhr auf ihrem Nachttisch, die nun auf Mitternacht wechselte. Sie hörte das vertraute Flüstern, dass sie seit einigen Nächten ständig begleitet hatte. Es war leise, fast unhörbar und doch konnte sie es nicht ignorieren. Das Flüstern, das so einladend und gleichzeitig beunruhigend war.
Sie hatte versucht, es ihren Eltern zu erklären, aber niemand glaubte ihr. „Es ist nur deine lebhafte Fantasie“ oder „Du hast zu viele Gruselgeschichten gelesen“ waren die standardmäßigen Antworten. Aber Lisa wusste, dass es real war. Es war ein unheimliches Flüstern, das ihren Namen wieder und wieder wiederholte.
Es verängstigte sie, aber sie musste wissen, was es war. Sie folgte dem Flüstern, das leise durch die Gänge ihres Hauses hallte. Sie ging die schmale Holztreppe hinunter, vorbei an den dunklen Familienfotos, die an der Wand hingen. Mit zitternden Händen öffnete sie die schwere Eichentür zum Keller.
Die Luft im Keller war feucht und dunkel und roch nach Mottenkugeln und alter Erde. Das Flüstern wurde lauter, es schien aus der tiefsten Ecke des Kellers zu kommen. Sie ging weiter, bis sie vor einer alten Holztruhe stand. Sie öffnete die Truhe und fand ein altes Buch, dessen Einband mit seltsamen Runen verziert war.
Kaum dass sie es öffnete, hörte das Flüstern auf. Stattdessen begannen die Seiten von selbst zu blättern, bis sie bei einer alten Zeichnung von einem Mädchen stoppten, das ihr erschreckend ähnlich sah. Unter dem Bild stand in altertümlicher Schrift: ‚Kein Flüstern soll erhalten bleiben, außer dir selbst zu dienen.‘
Lisa spürte eine Kälte in ihrer Brust, ihr Herz schlug schnell. Sie sah auf und sah das Mädchen aus dem Buch, ihr Spiegelbild, vor ihr stehen. Sie war so real, dass Lisa fast glaubte, sie könnte sie berühren. Aber so schnell die Erscheinung auch kam, verschwand sie wieder. An ihrer Stelle blieb nur ein Echo von Flüsterstimmen, die in der Dunkelheit ihren Namen riefen.
Verängstigt lief sie aus dem Keller und verriegelte die Tür. Sie rannte in ihr Zimmer, aber das Flüstern war immer noch präsent. Sie kuschelte sich unter ihre Decke und hoffte, dass es weggehen würde.
Seit dieser Nacht hört Lisa das Flüstern nicht nur mehr zur Mitternachtsstunde, sondern immer. Es klebt an ihr, verfolgt sie und ruft ihren Namen in der ständigen Dunkelheit. Ob sie jemals die Bedeutung der Worte ergründen kann, bleibt eine beängstigende Ungewissheit. Ein Mitternachtsflüstern, das ihr Leben für immer veränderte.
Ob es eine Warnung, ein Fluch oder vielleicht doch nur ein Produkt ihrer Fantasie ist? Diese Frage bleibt in der Dunkelheit, in dem allumfassenden Flüstern, ungeklärt.