Mitten in der Nacht schoss Leo aus dem Schlaf. Der Alptraum hatte ihn wieder heimgesucht, immer der Gleiche. Ein Gesicht seltsam verformt vor Schreck, blickte ihn aus der Dunkelheit an, schreiend, nach Hilfe flehend, bevor es in seinem geöffnetem Mund verschwand, als würde es in einen Abgrund gesogen.
Schwitzend und zitternd schaute sich Leo in seinem Zimmer um. Es war still, nur das stetige Ticken seiner Uhr durchbrach die Dunkelheit. Er kroch aus seinem Bett und griff nach seinem Smartphone auf dem Nachttisch. Vielleicht konnte ihn das bläuliche Licht beruhigen, ihm die Alpträume nehmen. Aber als er starr auf den leuchtenden Bildschirm schaute, fiel ihm etwas Ungewöhnliches auf.
Seine Social Media Accounts waren voller Nachrichten und Kommentare. Verängstigte Blicke und angstvolle Worte füllten seinen Feed. ‚Leo was ist los? Bitte antworte!‘, ‚Ich habe dein Gesicht in meinem Mund gesehen‘, ‚Siehst du das auch?‘. Es waren Nachrichten von Freunden, Bekannten, sogar Fremden. Eine Masse von Nachrichten alle mit der gleichen verängstigten Nachricht.
Er schüttelte den Kopf und rieb sich die Augen. War das eine Art von Streich? Ein furchtbarer Alptraum? Oder war es wirklich passiert? Hatte er tatsächlich auf unerklärliche Weise die Kontrolle übertragen und konnte jetzt, ob er wollte oder nicht, Menschen sehen und hören, die er niemals getroffen hatte?
Leo wurde heiß und kalt, als er sein eigenes Bild auf dem Bildschirm sah. Das Gesicht, das alle gesehen hatten war sein Gesicht, unheimlich verzerrt und gequält. Er konnte kaum atmen, Panik stieg in ihm auf. Plötzlich kam ihm eine erschreckende Erkenntnis – er war der Ursprung des Alptraums, keine Geister oder böse Kräfte. Nur er selbst, oder zumindest ein Teil von ihm, den er nicht unter Kontrolle hatte.
Er versuchte, durch die Flut von Nachrichten zu waten, zu verstehen, was passiert war. Und dann, zwischen den Zeilen, las er es. ‚Du hast es gesagt. In meinem Traum. Du hast gesagt, du bist der Seelenfänger. Du hast gesagt, du kannst nicht aufhören.‘ Die Worte hallten in seinem Kopf nach, bis sie einen unerträglichen Schrei wurden.
Leo ließ sein Handy fallen und starrte auf seine Hände. Sie sahen normal aus, menschlich. Nicht wie die Hände eines Monsters. Mit zitternder Stimme murmelte er die Worte vor sich hin, die er in den Träumen gesagt hatte. ‚Ich bin der Seelenfänger. Ich kann nicht aufhören.‘ Die Worte fühlten sich an wie eine kalte Berührung auf seiner Haut, erschreckend real.
Tränen liefen über sein Gesicht, als er sich vor dem Spiegel in seinem Zimmer sah. Sein eigenes Gesicht sah ihm entgegen, aber es schien fremd, furchtbar. Wie konnte er das sein? Er hatte keinen Grund, keine Erklärung. Alles, was er wusste, war die grausige Gewissheit, dass er die Seelen der Menschen in sich aufnahm – und sie wieder ausspuckte, in die Träume der Menschen, hinein in ihre gespenstischen Albträume. Wie eine endlose Welle von Horror und Verzweiflung, die nie aufhören würde.
Verzweifelt saß Leo auf dem Boden seines Zimmers und starrte auf die gedimmten Lichter seiner digitalen Welt, seine Augen voller Tränen, seine Seele voller Angst. Mit dem Bewusstsein, das kaum fassen zu können, flüsterte er die Worte in die Dunkelheit. ‚Ich bin der Seelenfänger. Ich kann nicht aufhören.‘