Hannah saß auf ihrem Bett, streichelte den goldenen Strang ihres Haars und starrte auf die Puppe. Sie hatte die Puppe von ihrer Großmutter geerbt. Mit ihren gläsernen Augen, dem Porzellangesicht und der gewellten Seidenkleidung war sie fast zu schön, um mit ihr zu spielen. Hannah stellte sie stattdessen auf ihre Kommode und bewunderte sie aus der Ferne.
Nachdem sie diese Gewohnheit über Monate beibehielt, begann Hannah das Gefühl zu haben, dass die Puppe zurückblickte. Immer wenn sie das Zimmer betrat, hatte sie das Gefühl, dass die Puppe ihre Bewegungen verfolgte. Ihr glasiger Blick schien mal rätselhaft, mal drohend, mal herausfordernd. Hannah versuchte, es zu ignorieren, überzeugte sich selbst, es sei nur ihre Vorstellungskraft.
Eines Nachts, als Hannah schlafen ging, war sie sich sicher, die Augen der Puppe hätten sich bewegt. Sie drehte sich auf die andere Seite, um nicht von der Puppe beobachtet zu werden, aber der kalte, selbstbewusste Blick verfolgte sie bis in ihre Träume.
Am nächsten Morgen fand sie die Puppe neben sich im Bett. Sie konnte schwören, sie auf der Kommode gelassen zu haben. Ihre Gedanken rasten. Hatte sie das getan? War sie vielleicht schlafgewandelt?
Die beunruhigenden Vorfälle setzten sich fort. Sie fand die Puppe in der Schule in ihrem Rucksack, auf der Rückbank ihres Autos und sogar einmal in der Dusche. Irgendwann begann sie, die Puppe zu hören. Ein leises Kichern, ganz tief und doch klar wahrnehmbar. Gerade laut genug, um sie in den Wahnsinn zu treiben.
Ihre Eltern waren besorgt, dachten, es liege am Stress in der Schule. Aber Hannah wusste, es war die Puppe. Sie begann, sie mit einer schweren Decke zu bedecken, in der Hoffnung, das Gefühl loszuwerden, beobachtet zu werden. Aber nichts half. Das Kichern wurde lauter, fordernder.
In einer panischen Nacht entschied sie sich, die Puppe zu zerstören. Sie nahm einen Hammer und zerschmetterte den Kopf der Puppe. Für einen Moment war Stille. Dann explodierte ein grauenhaftes Lachen im Raum, so teuflisch, dass Hannahs Blut gefror. Aus den Trümmern ragte eine schwarze Schattenfigur auf, griff nach Hannah und ziehte sie ins Dunkel.
Ihr Vater fand am nächsten Morgen ihr leeres Zimmer. Die zerschmetterte Puppe lag in der Mitte, der Hammer daneben. Es gab keine Spur von Hannah. In den folgenden Jahren hörten ihre Eltern immer wieder ihr Lachen, tief und teuflisch, in den unbewohnten Teilen des Hauses, in der Dunkelheit der Nacht, in ihren Albträumen.
Und die Puppe blieb. Als stummer Zeuge, mit ihrem glasigen Blick, als könnte sie die Wahrheit enthüllen. Aber sie hielt ihre Geheimnisse in ihren zerbrochenen Scherben verborgen, starrte in den leeren Raum und beobachtete.