jeden Tag eine Geschichte
Verbannt in die Schatten

Verbannt in die Schatten

3

Es fing mit dem Schatten an. Er war immer da, versteckt in den Mauerecken, kironisiert unter Stuhlkanteln. Marla erkannte, dass er nicht unbewegt und leblos war wie er es eigentlich sein sollte, sondern sich unerklärlich bewegte. Es war nicht das Zittern von Haushaltslichtern oder der zufällige Schimmer von Autoscheinwerfern. Es schien eine vorsätzliche Bewegung zu sein, brutale Absicht, die hinter den düsteren Umrissschwankungen lag.

Schnell begann Marla, das Konzept von Schatten als bloße Dunkelheit zu überdenken. Sie waren nicht länger Lichtabwesenheiten. Sie waren Lebewesen. Oder vielleicht waren es Geister? Gestalten, die die Form des Materiellen nahmen, doch immer mit einem beunruhigenden Fehlen. Eine Gestalt, die sich von einem menschlichen Profil in eine katzenhafte Silhouette verwandeln konnte, nur um im nächsten Moment etwas formlos Entsetzliches anzunehmen.

Marla teilte ihre Entdeckung niemandem mit, aus Angst, dass die Menschen sie für verrückt erklären würden. Doch die Geheimniskrämerei zehrte an ihr. Sie schlief nicht. Jede Ecke ihres Zimmers, in der sich Dunkelheit sammelte, schien sie zu beobachten. Jede Bewegung, die sie machte, wurde von einer schemenhaften Darstellung gespiegelt.

Sie fing an, die Sonne zu lieben und das Licht in jeder Form. Sie blieb bis spät in die Nacht in hell beleuchteten Cafés, doch jedem Glanz folgt Dunkelheit und gegen Mitternacht musste sie sich der Dunkelheit in ihrer Wohnung stellen.

Trotz ausgeschalteter Lichter huschten dunkle Gestalten durch ihren Raum. Sie lauschte auf ein unerklärliches Wispern, das ihr Herz mit eisiger Angst erfüllte. Sie fühlte den Schatten mehr als sie ihn sah, eine unheilvolle Präsenz, die immer da war.

Eines Nachts, während sie sich in ihrem Bett verkroch und auf den kommenden Morgen wartete, riskierte sie einen Blick. Sie erkannte eine Bewegung an der Zimmerdecke. Eine schattenhafte Hand glitt über die weiße Oberfläche und das Wispern wurde lauter. Dann sah sie das Gesicht, oder was sie dafür hielt – ein Strudel aus Dunkelheit mit ungleichmäßigen, lichtabsorbierenden Ausbuchtungen, wo die Augen hätten sein sollen.

Der Schatten stürzte sich schließlich auf sie. Sie konnte sich nicht bewegen, während eine dichte Dunkelheit sich um sie herum ausbreitete. Sie verschlang das Licht und somit auch Marla. Panik ergriff sie, doch sie konnte keinen Laut von sich geben. Sie konnte nur zusehen, wie ihr Zimmer in vollkommene Dunkelheit getaucht wurde.

Als der Morgen kam, war Marla verschwunden. Ihr Bett war unberührt, alles war in Ordnung. Sie war einfach verschwunden.

Marlas Zimmer ist seitdem immer hell beleuchtet, Tag und Nacht. Niemand will mehr darin schlafen, aus Angst vor dem Unbekannten, der Dunkelheit, die eine unschuldige Frau verschlungen hat. Doch wenn die Sonne untergeht und die Dunkelheit das Licht besiegt, kann man sie manchmal erahnen. Einen kurzen fluktuierenden Schemen an der Wand, der sich Marla ähnelt, verbannt in den Schatten.

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