jeden Tag eine Geschichte
Grauenvolle Stille

Grauenvolle Stille

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Im Zentrum der Stadt stand ein modernes, futuristisches Gebäude, dessen Glasfronten in der Sonne glänzten: Das HearItNow-Hauptquartier. In diesem Hochhaus bestand die Arbeit darin, Geräusch-Apps zu entwickeln, die den Nutzern von Gehörverlust bis hin zu Schlafstörungen halfen. Erfolg äußerte sich hier in Form von Klängen.

Josh, ein begnadeter Programmierer, arbeitete bereits seit Jahren dort und war bekannt für seinen Ehrgeiz und seine besessene Liebe zu Musik. Genug hatte er nie. Immer saß er am Rande seines Bettes, Kopfhörer auf den Ohren, und lauschte in die Nacht hinein. Immer auf der Suche nach der perfekten Klangqualität.

Eines Tages brachte er eine neue App heraus, das „Silentarium“. Ziel der App war es, Hintergrundgeräusche vollständig herauszufiltern und nur die Stimmen hervorzulassen. Die App war ein riesiger Erfolg, aber mit jedem weiteren Download wurde auch Josh eine Spur stiller.

Er lächelte weniger, sprach kaum und hing nur noch über seinem Laptop, seine Kopfhörer wie eine zweite Haut auf seinem Kopf. Seine Kollegen bemerkten die Veränderung, wussten aber seine plötzliche Abgeschlossenheit nicht zu deuten. Sie glaubten, er wäre nur überarbeitet.

Eines Nachts, während Josh noch in seinem Büro arbeitete, vernahm er ein merkwürdiges Geräusch, wie ein Flüstern, das durch die Stille brach. Er horchte auf, doch da war nichts. Das Flüstern hatte aufgehört oder war es gar nie da gewesen?

Er versuchte es zu ignorieren, doch das Flüstern kehrte zurück, leise, aber unnachgiebig. Es war, als würde es aus dem Inneren seiner Kopfhörer kommen, die Stimmen, die nach ihm riefen, ihn warnten… Nein, sie flehten ihn an.

Josh war zutiefst beunruhigt. Er nahm die Kopfhörer ab und schaltete die App aus. Doch das Flüstern hörte nicht auf. Es wurde lauter und lauter, bis es ein Kreischen wurde, das in seinen Ohren schmerzte.

In seiner Panik riss Josh die Kopfhörer vom Kopf und stürzte aus seinem Büro, hinunter auf die Straße. Die Stille der Nacht empfing ihn, so unnatürlich still. Kein Autolärm, keine Schritte, sogar der Wind schien stummer als sonst. Auch hier, draußen, war das Flüstern.

Er rannte die Straße hinunter, stolperte, fiel, stand wieder auf und rannte weiter. Doch egal, wohin er lief, das Flüstern verfolgte ihn. Es war überall, es erfüllte die Luft, drang in seine Sinne, sogar seine Gedanken wurden davon eingenommen.

Am nächsten Morgen fanden sie Josh. Er lag steif auf dem kalten Asphalt, der Blick starr, sein Körper zitternd. Seine Lippen bewegten sich stumm, als würde er sprechen wollen, doch aus seinem Mund kam kein Laut. An seiner Seite lagen seine Kopfhörer, aus denen immer noch ein leises Flüstern drang.

Die Polizei untersuchte den Fall, doch niemand konnte sagen, was geschehen war. Die Ärzte waren ratlos. Die App wurde sofort vom Markt genommen, aber das Flüstern schien bedrohlich in der Luft zu hängen, bereit, jederzeit wieder zuzuschlagen…

An jenem Tag, als man Josh fand, wurde die Stadt stiller. Die Menschen sprachen leiser, lachten weniger. Die Stille hatte die Stadt in ihren Bann gezogen und trotz aller Bemühungen, sie zu durchbrechen, war die grauenvolle Stille immer noch da, undurchdringlich und allumfassend.

Die Stille veränderte die Menschen, machte sie stiller, unsichtbarer, als würden sie langsam verblassen. Und während die Bewohner der Stadt in dieser grauenvollen Stille lebten, fragten sie sich, ob sie eines Tages wie Josh enden würden: still, einsam, unaufhaltsam verblassen.

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