Jill zog die Kapuze ihres Regenmantels tiefer ins Gesicht und beschleunigte ihren Schritt. Die Straßen schienen überraschend leer zu sein, die gewohnte Hektik des Großstadtlebens war einer tummelnden Schar von herumlungernden Gestalten gewichen. Diese glichen somit eher Statisten in einem Post-Apokalypse-Film als Menschen in einer pulsierenden Metropole des 21. Jahrhunderts. Immer wieder flackerte das Licht der Straßenlaternen, als trüge die Atmosphäre ihre Angst mit sich herum.
Sie erreichte ihr Apartment, schloss sie auf und betrat es mit pochendem Herzen. Etwas stimmte hier nicht. Die Luft schmeckte nach Dunkelheit und Desolation, die Stille war viel zu real. Ihre Mitbewohnerin, Tina, war nirgends zu sehen. Nichts deutete auf ihre Anwesenheit hin – kein raschelndes Lachen, keine Musik, die aus ihrem Zimmer schallte, kein hektisches Tippen auf der Tastatur.
Sie rief Tina, doch die Wände schluckten ihre Stimme. Auf verknoteten Beinen ging sie zur Küche, um sich ein Glas Wasser einzuschenken. Aber ihre Hände zitterten so stark, dass sie das Glas fallen ließ. Es zersprang in hunderte von kleinen Stücken, doch es kam kein Geräusch. Der Klang der zerspringenden Gläser war stumm. Gleichzeitig mit dem Aufprall der Scherben auf dem Boden, fiel alles Licht aus und ließ Jill in völliger Dunkelheit zurück.
Sie streckte eine zitternde Hand aus, in der Hoffnung, den Lichtschalter an der Wand zu finden. Plötzlich griff eine eiskalte Hand nach ihrer, pulsierend, als wäre sie nicht ganz von dieser Welt. Sie fuhr zurück, doch die Kälte ließ sie nicht los. Eine Stimme raunte Unverständliches in ihr Ohr, fremd und doch überraschend bekannt. Ihr Herz schlug unkontrolliert gegen ihren Brustkorb. Sie konnte die Stimme fast nicht verstehen, bis sie die Worte endlich erkannte: „Hilf mir, Jill, hilf mir, ich bin gefangen.“
Ein Lichtblitz ließ Jill zusammenfahren. Tina stand vor ihr, blass wie ein Geist, Augen weit aufgerissen. „Du siehst sie auch, oder?“ fragte Tina, ihre Stimme war angespannt und ihre Atmung flach. Jill verwundert, fragte „Was mein…“ before Tina sie unterbrach: „Die Seelen! Sie sind überall. Sie wandern. Sie suchen nach Hilfe!“
Die Luft um sie herum schien sich zu verdichten und die Raumtemperatur sank rapider als zuvor. Flüstern und Wimmern drangen aus jedem Winkel des Apartments. Dann erstrahlten Tausende von Lichtpunkten, die sich zu menschlichen Silhouetten verwandelten. Sie sahen alle so echt und doch so furchterregend zugleich aus. Und sie alle starren auf Jill und Tina.
Jill wachte auf. Sie war völlig durchnässt von Schweiß und außer Atem. Sie blickte sich um, ihr Zimmer war leer und ruhig. Alles, was übrig blieb, war Stille – bis sie die Türklingel aus ihrem Schlaf riss. Sie öffnete die Tür und stand einem Polizisten gegenüber, der mit trauriger Mine diese Worte sagte: „Ich habe schlechte Nachrichten. Ihre Freundin, Tina, ist bei einem Unfall ums Leben gekommen.“
Schweigend starrte Jill den Polizisten an, das Herz in der Hand. Dann blickte sie zum Himmel, dort wo die sterbenden Lichter der Stadt die Nacht nicht mehr aufhellen konnten. Gequälte Seelen wanderten umher, auf der Suche nach Frieden. Und sie murmelte leise „Tina, ich werde dir helfen.“