Halb in Schatten gehüllt, stand der alte Turm da, seine mächtige Silhouette erstreckte sich verschwommen gegen den nebligen Himmel. Einst war es ein Ort voller Macht und Pracht, jetzt nur noch ein verlassenes Gehäuse, dessen innere Narben deutlich sichtbar waren.
Es war ein kalter, klarer Winternachmittag, als Ethan, von Abenteuerlust getrieben, die knarrenden Türen des Turms durchquerte. Seine Freunde hatten unzählige Geschichten erzählt, wie nachts Schatten scheinbar zum Leben erwachen würden. Die Mauern würden flüstern. Eine verwirrende Mischung aus Neugier und Furcht loderte in ihm, als er tiefer in die Dunkelheit vordrang.
Plötzlich stolperte er über etwas Hartes. Eine lampe. Trocken, staubig und verwittert, schien sie so alt zu sein wie der Turm selbst. Zögernd strich er mit den Fingern über die Oberfläche und zu seiner Verwunderung entzündete sie sich. Ein geisterhaftes, grünes Licht erfüllte den Raum und beleuchtete eine steinerne Tafel an der gegenüberliegenden Wand.
Es waren uralte, verblasste Runen, die ein geheimnisvolles Gelübde darstellten: „Die Finsternis ist ewig. Ich schwöre, sie zu beschützen, bis mein letzter Atemzug.“ Unwillkürlich lauschte Ethan den feingravierten Worten und wiederholte sie leise für sich. Ein Rauschen erfüllte seine Ohren, als ob der kalte Stein atmete und einstimmte.
Plötzlich ergoss sich ein unerträglicher Schmerz über ihn. Er fiel auf die Knie, die Hand an seine Brust gepresst, in der sein Herz wild gegen seine Rippen hämmerte. Um ihn herum brauste der Raum auf, als stiegen Schatten aus jeder Spalte der morschen Mauern hervor, tanzten im grünen Schein der Lampe.
Seine Sicht verschwamm, verblaßte und erwachte erneut in perfekter Dunkelheit. Die Lampe war erloschen. Der Schmerz in seiner Brust hatte nachgelassen, aber das furchterregende Rasen seines Herzens hatte sich nicht beruhigt. Es schien, als hätte sich etwas eisiges in seine Brust gepeinigt, etwas Unerbittliches und finsteres.
Monate vergingen. Ethan kehrte nicht in sein früheres Leben zurück. Er war in den Turm gezogen, lebte in ständiger Dunkelheit, zerrissen zwischen dem Bedürfnis nach Sonnenlicht und der Angst, es würde die Dunkelheit in seiner Brust zerstören. Jede Nacht erwachten die Schatten und tanzten. Sie tuschelten, lachten, flüsterten seine Ohren voll, webten Albträume aus seinen tiefsten Ängsten.
Aber in all dem Schrecken entdeckte er auch eine seltsame Schönheit, eine Harmonie in der Dunkelheit. Sie war heimtückisch, nie schwach, immer da. Sie flüsterte von geheimen Wissen, sie versprach Schutz, solange er den Schwur hielt.
Und so blieb Ethan, gebunden durch den Schwur, den er in einer verhängnisvollen Winternacht abgelegt hatte. Er wurde der Wächter der Finsternis, gefangen in einem Schattenwerk der Zeiten. Ein stummer Beweis dafür, dass die Dunkelheit oft verführerischer ist als das Licht und die Schrecken, die wir für fiktiv halten, tatsächlich atmen und lauern, wenn wir es am wenigsten erwarten.